Bevor Alles Verschwindet
schon vorbei, aber das ist jetzt sein Zuhause. Hier kann er sich zurückziehen und auf Annas Rückkehr warten, während sie ihm oben das Haus auseinanderreißen.
Wacho setzt sich unter den Eichentisch in der Waschküche, seine Vorfahren haben auf dem Tisch gebügelt und Bettlaken zusammengelegt, er weiß nicht mehr, ob Anna das auch getan hat. Er erinnert sich tatsächlich nur noch an Erzählungen von Menschen, die er selbst nur flüchtig gekannt hat, Menschen, die vor ihm waren. Wacho fühlt sich allein in seiner Zeit, wie er da unter dem Tisch kauert und auf die ersten Schläge gegen das Haus wartet.
Wenn man zwei, drei Abrisse erlebt hat, weiß man in etwa, wie das abläuft. Jules hat den Abriss seines Zuhauses gesehen, das war der extremste, den er sich vorstellen konnte, mehr braucht er nicht davon. Den des Rathauses will er sich sparen, aber dann fällt ihm beim Anblick Milos auf der weißen Treppe David ein und dass der noch in seinem Zimmer sein muss,
wenn kein Wunder geschehen ist, und warum sollte ein Wunder geschehen, und wenn eins geschehen sollte, warum dann ausgerechnet David. Jules kehrt noch einmal um, läuft zum Absperrband und zu einem der Gelbhelme. Da hinten steht auch Julas Gelbhelm, aber den beachtet er nicht. Der Mann, an den Jules sich wendet, sieht ihn sehr freundlich an, ein wenig zu freundlich, so, wie man ein Kind ansieht.
»Was gibt's?«, fragt der Gelbhelm.
»David«, sagt Jules. »David ist wahrscheinlich noch im Haus.« Jules zeigt hinauf zu Davids Zimmer, da hängen die Gardinen still.
»David«, sagt der Gelbhelm. »Das ist doch der, der neulich im Haus Nummer sieben rumgehangen hat. Im Keller.«
»Kein Plan«, sagt Jules. »Hier gibt es kein Haus Nummer sieben. Hier gibt es nur noch ein einziges Haus und das gibt es gleich auch nicht mehr.«
»Ist ja gut, Junge«, sagt der Gelbhelm, und da kommt Julas Federvieh und stellt sich zu ihnen, wahrscheinlich hat der andere ihn herbeigewinkt, einfach so würde der sich nicht in Jules' Nähe wagen. Julas Vogelmann schaut abwechselnd auf den Boden und dann angestrengt seinem Kollegen ins Gesicht. Der sagt: »Geh mal nachgucken, in Raum vier a. Da könnte noch jemand sein.«
Der Vogelmann macht sich auf den Weg, und Jules stellt sich vor, wie seine Kollegen ihn vergessen und der Sprengmeister auf den roten Knopf drückt, Jules stellt sich vor, wie er dann ein Problem weniger hätte.
»Was machst du eigentlich noch hier?«, fragt der Gelbhelm.
»Protestieren«, sagt Jules, und der Gelbhelm lacht nicht, das ist sehr höflich von ihm.
»Bis zum Schluss, was?«, fragt der Gelbhelm, und Jules nickt.
»Einer muss das ja durchziehen.«
»Ja«, sagt der Gelbhelm, »an einem bleibt immer die Scheißarbeit hängen.«
Oben geht Davids Fenster auf, dort steht der Vogelmann, beißt sich auf die Unterlippe.
»Hier ist niemand«, ruft er seinem Kollegen zu, er sieht Jules immer noch nicht an, so viel Respekt hat er, so groß ist sein Schuldgefühl, ganz sicher.
»Hast du alles überprüft?«, fragt der andere Gelbhelm und macht aus dem Abriss mit einem Satz einen Krimi.
»Klar, Boss«, grinst der Vogelmann aus Davids Zimmer hinunter. »Hier ist kein Mensch, nur ein leerer Raum. Sieht so aus, als wäre hier noch nie irgendjemand gewesen.«
»Was?«, brüllt der Gelbhelm hinauf, aber Jules hat den Vogelmann verstanden und der hat offensichtlich überhaupt keine Ahnung. Nicht von David, nicht von Jules, nicht von den Häusern und schon gar nicht von Jula. Früher oder später wird sie das merken und zu ihm zurückkommen, aber dann studiert er schon längst Komparatistik oder macht eine Ausbildung zum Astronauten. Direkt irgendwo im All und unerreichbar.
Der Gelbhelm sieht sich auf dem Platz um und zum Friedhof hinüber. Dort arbeiten sie immer noch mit den Baggern, verrichten hinter überkopfhohen Planen ihre Arbeit.
»Da ist er bestimmt nicht«, sagt Jules und hat selbst keine Ahnung, woher er das weiß, er vermutet vor allem, dass David das Haus nicht verlassen hat. David nicht und Wacho auch nicht, und vielleicht muss das einfach so sein, dass sie im Haus bleiben. Aber Jules fühlt sich verantwortlich, es gibt nur noch sie drei und Milo. Der steht jetzt auf und geht langsam auf das Friedhofstor zu.
Milo macht drei, vier, fünf Schritte, dann bleibt er stehen, als ob seine Batterie leer wäre, steht er da und dreht sich zu ihnen um, und Jules rechnet damit, dass aus Milos Augen Laserstrahlen schießen, aber da kommt nichts. Milo guckt
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