Bevor Alles Verschwindet
Ablage. Das Auto ist alt, das Salamander-Auto hat keine Airbags und Jula keine Geduld. Selbst durch die Scheibe hört Wacho die Musik aus den Lautsprecherboxen, einen knirschenden Landsender. Während ihre Tochter hinter ihr Turnübungen macht, um den Sender zu verstellen, ohne die Beine von der Ablage neh
men zu müssen, steht Eleni einfach nur, sie steht und schaut, während ihr Oldiefetzen, Klassikfetzen und schließlich Rockfetzen um die Ohren gedonnert werden. Wacho schaut, und Eleni schaut, und Jules fragt:
»Worauf wartet sie?«, und Wacho weiß genau, worauf Eleni wartet. Er kann es aber nur schlecht in Worte fassen, und so kommt aus seinem Mund nur Mist:
»Morgen«, sagt Wacho und: »richtig«, und Jules beachtet sein Gestammel erst gar nicht, sagt, er lege sich noch einmal hin, und dann geht er, und Wacho kann plötzlich einen ganzen Satz formulieren und ihn aussprechen, laut und deutlich in die Küche hinein: »Auf den richtigen Zeitpunkt.«
Wacho lehnt die Stirn an die kühle Fensterscheibe und schließt die Augen. Er bemerkt nicht, wie David die Treppe herunterschleicht, humpelnd eilt der durch die Küche, öffnet leise die Kellertür und verschwindet in dem schwarzen Loch dahinter. Von draußen hört Wacho Reifengeräusche, knirschend auf dem blutleeren Weg, er erwartet, dass es Eleni ist, die jetzt fährt, aber als er hochsieht, steht sie immer noch da. Ein großes Baustellenfahrzeug schiebt sich schwerfällig über den Hauptplatz. Der unsichtbare Fahrer bedient einmal die Lichthupe, und jetzt ist der Moment für Eleni gekommen, löst sie sich aus ihrer Denkmalhaltung, schiebt die Beine ihrer Tochter beiseite, setzt sich, schlägt die Tür zu, schnallt sich an. Auch vor einer Flucht schnallt Eleni sich noch gewissenhaft an. Und während der Betonmischer auf den Friedhof zupoltert, während Wacho die Gardinen schließt, während donnernd der Ofen explodiert und die Bäckerei sich im unglaublichsten Morgenrot verstreut, fährt Eleni im Schritttempo aus dem Ort.
Jules
Noch ein Tag
Der letzte Schutt wird vom Rathaus stammen, das reißen sie heute frühmorgens ein. Auf der Rathaustreppe sitzt Milo und blickt den Gelbhelmen entgegen, sie beachten ihn nicht. Wacho tritt aus dem Haus und steht hinter ihm, er trägt eine große Reisetasche, hält sie allein mit den Fingerspitzen wie eine tote Maus, er sieht nicht aus, als würde er irgendetwas retten wollen. Er dreht sich nicht um, nicht nach der Diele, die hinter ihm leuchtet, gelb und warm wie immer und wie hier draußen in diesen Sommertagen das Licht.
»Ich geh dann mal«, sagt Wacho, und er sagt es so unschuldig, dass man ihm auf keinen Fall glauben darf, aber die Gelbhelme kennen ihn nicht gut genug und sie haben Ohrenschützer auf; sie hören keine Zwischentöne, die verraten, was wahr ist. Wahr ist, dass Wacho jetzt die weiße Treppe hinabsteigt, einmal noch schreiten, vor aller Augen, und dann im weiten Bogen ums Haus geht. Da gibt es vom Garten aus eine Treppe zum Keller, dort gibt es eine weitere Tür, die sie nicht nutzen, seit die Gartenstühle unten bleiben, das ganze Jahr über.
Wacho steigt über die Reste des Zauns, leise streift er durchs hohe Gras, er hat den Film über den mutigen Gladiator gesehen, eines Nachts im Fernsehen. Wacho streicht mit der rechten Hand durch das Unkraut wie dieser großartige Mensch durch den Weizen im Sommerwind, im Traum strich der Mann im Film, Wacho streicht in der Wirklichkeit, und er fühlt sich nicht mutig dabei. Wacho befürchtet, ihm könne die Kellerdecke auf den Kopf fallen.
Er stolpert über den alten Grill, der liegt dreibeinig im Gras, selbst nach all den Jahren sind noch Reste der Kohle zu erkennen. Es hatte ein Gewitter gegeben und sie waren schnell ins Haus geflüchtet. Anna hatte die Brötchen getragen, er den Salat, und David hatte im Weg rumgestanden und Wacho beinahe zu Fall gebracht. Der Regen hatte die Glut gelöscht und der Wind den Grill umgestoßen, und das war das letzte dieser Feste gewesen, kurz danach war Anna verschwunden. Vielleicht war das Fest damals eines zum Abschied gewesen, von einem der mittlerweile Vergessenen, die früher als sie selbst verstanden, dass hier Ernst gemacht werden würde. Wacho reibt sich sein Schienbein, er steigt die Treppe hinab, schiebt das Sicherheitsgitter beiseite, es ist nicht abgeschlossen, wer schließt hier schon ab, wer schließt hier noch ab? Er stößt die Kellertür auf, auch die Luft ist abgelaufen, hier unten ist alles viel zu lange
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