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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Scheffel
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über dem Knie und ein T-Shirt von ihm. Mit nassem Haar stand sie neben der Wohnungstür und wartete, bis er die Schuhe angezogen hatte. Dann hat er
die Tür geöffnet und sie die Treppe hinunter über den Parkplatz bis zu seinem Auto geschoben. Sie hat die Hände in den Taschen geballt, sie hat irgendetwas darin so fest gedrückt, dass ihre Schultern gezittert haben. Als er sie dann in den Arm nahm, hat das Zittern nicht aufgehört, und je mehr sie sich dem neuen Zuhause ihrer Eltern näherten, desto schlimmer wurde es.
    »Halt!«, hat Jula zwischen den klappernden Zähnen hervorgepresst, und er hat ihr über die Wange gestreichelt, sanft und mehrmals, damit sie aufhörte damit, aufhörte, wie tot auszusehen. Er hat ihr eine Zigarette angezündet und in den Mundwinkel gesteckt, sie hat tief gezogen daran und so etwas versucht wie ein Grinsen.
    »Ich gehe und hole sie. Du wartest«, hat er gesagt und leise gesprochen, er war sich nicht sicher, ob sie ihn überhaupt verstand. Er hat sie auf die Stirn geküsst und den Schlüssel vorsichtshalber aus dem Schloss genommen und er ist gerannt, den ganzen Weg bis zum neuen Haus ihrer Eltern. Er hat nichts mitbekommen vom neuen Ort, der immer noch keinen Namen, und als er dann vor ihren Eltern stand, sahen die aus, als hätten sie mit dieser Ansammlung von Häusern nichts zu tun.
    »Jula ist im Auto«, hat Anton gesagt, und Julas Mutter hat ihre Jacke genommen und ihr Vater hat gefragt: »Meinst du, ich brauche meine Jacke?« Und Julas Mutter hat genickt, dabei war es schon abzusehen, der Tag würde warm werden. Gemeinsam sind sie zurück zum Auto gerannt und Anton hat Jula fest an sich gedrückt, erleichtert darüber, dass sie noch da war.
    Julas Eltern standen vor dem Auto und sahen Jula in Antons Arm, wahrscheinlich war es seltsam, Jula so nah mit diesem für sie fremden Mann. Anton trug nicht einmal seinen gelben Helm, er sah normal aus und wie jeder andere auch, sogar seine gefiederten Arme waren heute egal. Anton hat Jula los
gelassen und ist wieder ausgestiegen, er hat die Tür aufgemacht und den Sitz vorgeklappt. Julas Eltern sind auf die Rückbank gerutscht, sie sahen Jula nicht an, aber Anton lange und dankbar. Dann ist er losgefahren, das Radio blieb aus, niemand hat ein Wort gesagt.
    Anton hat überlegt, ob er ihnen vom Sturz des Kirchturms, des blitzenden Kreuzes in die Tiefe erzählen sollte, aber das wäre zu nah dran gewesen an der Sache mit Jules, über die anscheinend niemand von ihnen sprechen wollte oder konnte. Kurz bevor sie da waren, schob Julas Mutter ihre Hand über die Rückenlehne nach vorn, sie wollte sie Jula auf die Schulter legen, traf aber Anton und zuckte zusammen und zog die Hand schnell zurück. »Entschuldigen Sie.« Anton hat dazu nichts gesagt, aber Jula hat sich zu ihrer Mutter umgedreht, währenddessen Antons Hand genommen und einen Rauchring in die Luft geblasen. Dann waren sie da, zurück in Antons Stadt, die bald siebzig Jahre alt wird.
    Während Anton sich auf den Weg in den abgesperrten Bereich macht, denkt er an Jula, die vermutlich noch mit ihren Eltern in seiner Küche oder auf dem Balkon sitzen wird. Sie werden den Melissentee trinken, den Anton gekocht hat. Er hatte schnell im Internet nachgesehen, was man anbietet, bei der größtmöglichen Traurigkeit und zur Beruhigung, und die meisten hatten Melisse geschrieben Die Melisse kam aus dem Garten seiner Eltern und die wird er besuchen, zusammen mit Jula, wenn es ihr wieder besser geht. Der Schrebergarten seiner Eltern ist ihm noch nie wie das Paradies vorgekommen, aber als er heute Morgen neben dem Wasserkocher stand und das Schweigen der Salamanders sich ihm in den Rücken drückte, da war er sich ziemlich sicher, den perfekten Ort zu kennen. Jula und er würden auf der quietschenden Hollywoodschaukel sitzen, die seine Mutter vom Kollegium zur Pensionierung geschenkt bekommen hat. Sein Vater würde irgendwo irgendwas graben und Anton zu sich rufen, ihn
bitten, zu helfen, aber seine Mutter würde den Kopf schütteln und den Vater ermahnen, Anton mal schön zu lassen, der müsse das Kreuz unter der Woche schon häufig genug krumm machen, jetzt sei Wochenende und die beiden seien ihre Gäste. Sie würde Jula ein Stück Erdbeerkuchen anbieten mit Sojasahne, und es würde sie nicht kümmern, dass Jula nein sagen würde und stattdessen rauchte. Abends würde sein Vater den Grill anschmeißen, zu dritt stünden sie davor, er, sein Vater und Jula, und er würde seinen Arm um ihre

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