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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Scheffel
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Aber Milo schleift die Treppe des Hauses im verschwundenen Wald und lässt David ab und zu seine Hand nehmen, Milo bannt jeden Löwen und Davids Angst vor Wachos Zorn und Davids eigene Wut, die täglich größer wird. Milo hat selbst den Sturz in den Brunnen überlebt. Milo spricht nicht viel, genaugenommen spricht er fast nie, aber das ist in Ordnung. Wenn Milo lacht, betrifft das vielleicht nicht David, aber er fühlt sich betroffen von Milos Lachen. Milo ist aufgetaucht, als hier alles seltsam wurde. Das ist für David ein Grund, Milo abgrundtief dankbar zu sein.
    »Trink doch«, sagt Wacho lächelnd zu David. »Es läuft ja über«, sagt er und: »Wo bist du denn mit deinen Gedanken. Feiere bitte mit uns«, sagt er, nimmt das Glas und drückt es David an die Lippen. David kneift den Mund zu, Milo ist da, er darf nicht durcheinandergeraten. Wacho lässt nicht locker, er steht auf, greift Davids Kopf, zieht ihn nach hinten, flößt ihm den Wein ein, David hustet und spuckt. Wacho setzt sich wieder und beobachtet gemeinsam mit Mona, wie der Fleck auf dem weißen Leinen trocknet.
    David zieht Milo vom Tisch weg und die Treppe hinauf in sein Zimmer. Vor die Tür stellt er den Schreibtisch. Er schiebt nicht, er trägt ihn, so kann man unten nichts hören. »So«, sagt er. Sie lassen sich nebeneinander aufs Bett fallen und da sitzen sie, inmitten der frühen Nacht.
     
    »Ist Post gekommen?«, fragt Eleni und setzt sich. Jeremias und Jules schütteln den Kopf. Eleni stellt diese Frage mittlerweile mehrmals am Tag und erwartet doch längst keine Antwort mehr. »Wer will?«, fragt sie und verteilt den Spinat. Abends gibt es immer was Warmes, dafür mittags nur zwei Scheiben Brot. Sie kochen gemeinsam, sonntags beim Frühstück entsteht der Plan für die Woche. Heute gibt es Spiegelei, Spinat und Pellkartoffeln, ein Klassiker noch aus Schulzeiten. Sie haben einen Glastisch, auf dessen Platte die Arme und Hände kalt werden, sie haben Plastikuntersetzer mit Motiven aus Bilderbüchern, die Untersetzer stammen aus der Wühlmäusezeit der Zwillinge. Jula ist nicht zum Essen gekommen; es gibt hier nicht viele Regeln, aber eine schon immer: Zum Essen sind alle da, Essen gibt es um Punkt sieben.
    »Das ist nicht spießig, das ist notwendig. Fragt nicht warum, weil das nun einmal so ist. Manche Dinge sind einfach so, damit andere funktionieren, Familie zum Beispiel, Familie ist eines davon.«
    »Wovon?«
    »Von diesen Dingen eben, und nun esst.«
    Jula ist heute Abend nicht da, dabei liebt sie Spinat. Um fünf nach sieben beginnen die anderen zu essen, schweigend, im Hintergrund läuft Musik, irgendwas von den Zwillingen, auch bei der Begleitmusik wird sich abgewechselt, das ist keine Regel, das ist die Kür, die das Leben, so sagt Jeremias, gemütlich macht.
    »Wo ist deine Schwester?« Jules weiß es nicht, aber sie glauben ihm nicht, so weit kann die Welt noch nicht aus den Fugen geraten sein.
    »Vielleicht fotografiert sie die Trümmer«, sagt Eleni. »Sie fotografiert doch so gern.«
    »Ach ja?« Jeremias wundert sich, dass er das jetzt erst erfährt.
    »Vor einem Jahr haben wir ihr die Kamera geschenkt«, sagt Eleni.
    »Jules«, fragt Jeremias, »wo ist deine Schweser?« Jules spachtelt Spiegelei in sich hinein, er mag keinen Spinat und keine Kartoffeln und er weiß wirklich nicht, wo Jula ist. Erst als Eleni beginnt, mit dem Messer ihren Teller sauber zu kratzen, rührt Jeremias sich wieder. Sie macht das, seit er sie kennt, aber es stört ihn erst heute.
    »Wir haben einen Geschirrspüler.«
    »Ich weiß«, sagt sie und kratzt weiter. Jules legt das Besteck zur Seite und beobachtet seine Eltern.
    »Was ist«, fragt Jeremias. »Bis du schon satt?« Jules nickt, er hat Schatten unter den Augen. »Du siehst blass aus«, sagt Jeremias und schiebt ihm den Spinat hin, Jules schüttelt den Kopf.
    »Hast du es ihm schon gesagt?«, fragt Eleni.
    »Was?«
    »Dass du das machen möchtest mit dem Haus.« Jeremias greift nach den Kartoffeln, stellt die Schüssel aber schnell wieder ab. Jetzt irgendetwas auf später zu verschieben und dem Jungen eine Kindergeschichte aufzutischen, das geht nicht. Draußen machen die Gelbhelme Schluss für den Tag, parken die Arbeitsfahrzeuge vor den Trümmern von Monas Haus, da lungert schon eine Meute schwerer Gerätschaft beim Rathaus herum, das wird bald entkernt werden.
    »Wir können da oben ein tolles Haus bauen«, sagt Jeremias.
    »Und?«, fragt Jules. Die Blicke, die Jules und Eleni Jeremias

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