Bevor Alles Verschwindet
staubigen Trümmer. Durch das Loch spähen zwei Gelbhelme ins Wohnzimmer, sie runzeln die Stirn, sie sorgen sich, sind ja auch nur Menschen, sie können nichts dafür. Das muss man sich nur oft genug sagen. Mona jedenfalls steht im Bademantel in der viel zu kalten Luft. Sie ballt ihre Fäuste und bewegt sich nicht.
David weiß nicht, ob er sie beruhigen soll. Wacho steht neben Mona, die Hand ausgestreckt nach ihrer Schulter, er wird sie nicht anfassen. In letzter Konsequenz traut Wacho sich so was nicht, das wagt er nur bei David. Er sieht seinen Sohn an, als hätte er ihn erwartet, und das hat er wohl auch. Wacho nickt David zu, und währenddessen ist Mona pure Angst und stumme Wut, im Zimmer ist nur Platz für sie, David und Wacho sind Statisten. Die Gesichter der Gelbhelme verraten es, da hätten sie mehr erwartet vom Bürgermeister, rumstehen, das kann ja wohl jeder.
»Es wird Zeit«, sagt einer der Gelbhelme, »sie sollten Frau Winz mit hinausnehmen, es ist zu gefährlich hier im Haus.« Wacho nickt, streckt den Arm noch ein Stück weiter in Monas Richtung. Sie weicht ihm aus, krallt ihre Finger in die Reste der Mauer. Monas Knöchel sind ganz weiß, das muss wehtun, denkt David. Der Gelbhelm tritt seufzend zurück ins Haus, er schiebt Wachos Arm beiseite, wirft ihm einen Blick zu, der sagt: Ach je. Der Gelbhelm fasst Mona vorsichtig am Arm und will sie in Richtung Tür lenken. Er sagt: »Es ist gut.« Mona lässt sich kein Stück bewegen, sie steht steinern als Ersatz für die Wand.
David blickt sich im Zimmer um, anscheinend sollte hier heute etwas gefeiert werden. Auf dem Tisch liegt eine weiße Spitzendecke, da steht ein Teller mit Blätterteiggebäck, in einem fragilen Schälchen stapeln sich Zuckerwürfel, auf einem Stövchen dampft Tee, gedeckt ist für zwei Personen. Anscheinend hat Mona Besuch erwartet und die Bauarbeiter mit ihrem Abrissbefehl völlig vergessen. Fehlte hier nicht eine Wand, dann wäre es jetzt an der Zeit, sich höflich zurückzuziehen.
»Wir müssen wirklich weitermachen«, sagt der Gelbhelm und lässt Mona los. »Sie wussten doch, dass das heute passiert, das wurde doch alles rechtzeitig bekanntgegeben, Sie haben doch einen Brief bekommen vor ein paar Wochen und Sie haben nicht einmal gepackt. Was ist mit den Möbeln, das geht doch alles kaputt.« Mona steht und schaut und sagt nichts. David versteht das, wenn er Mona wäre, würde er auch die Wände festhalten, er würde eine Kuchengabel nehmen und sie einem der Gelbhelme in die staubige Hand bohren, er würde sich auf den Boden werfen, Staub fressen und seine Zähne in die müde ächzenden Dielen schlagen, er würde Pech und Schwefel auf sie herabregnen lassen, wenn er Mona wäre, und das wäre er gern.
»Mona«, sagt Wacho, »Mona, komm.« Er traut sich, er fasst sie an, legt ihr endlich die Hand auf die Schulter, will sie nach draußen begleiten, es knarrt im Gebälk, das Haus schwankt bereits im Sterben. Besorgt richten die Bauarbeiter den Blick nach oben. Sie hoffen auf Vernunft, einen baldigen Rückzug, auf ein Ende dieser vergeblichen Belagerung.
»Was stehen Sie da so rum?«, faucht einer David an. »Sie wissen doch, was hier gleich passiert. Warum tun Sie nichts?« David zuckt zurück. Er ist es nicht gewohnt, gesiezt zu werden, und fühlt sich deshalb nicht angesprochen. Aber der Gelbhelm meint eindeutig ihn, der denkt, David hätte zu handeln. Aber da irrt er sich, das ist nicht Davids Sache. Da
vid ist nur da, weil –. David weiß nicht, warum er hier ist. Vielleicht, weil Wacho ihm gestattet hat, sein Zimmer zu verlassen, weil David diesem Rest Vertrauen seines Vaters entgegenkommen wollte.
»Lassen Sie ihn«, sagt Wacho, »er kann doch nichts ändern.« Wacho schiebt Mona von den Mauerresten weg, am gedeckten Tisch und an David vorbei.
»Und was ist mit dem ganzen Zeug?«, fragt der Gelbhelm. »Das kommt alles auf den Müll, wenn es nicht in ein paar Minuten weg ist. Wir müssen hier weitermachen.«
»Sie wiederholen sich«, sagt Wacho ruhig und: »Wir haben Sie schon verstanden.«
David nickt automatisch. Er geht zur Anrichte, nimmt das gläserne Tablett, stellt die feinen Teller darauf, den Zucker, den Kuchen, das Stövchen, die Kanne. Vor seiner Zeit im Tore hat David in einem Café gekellnert, das es heute nicht mehr gibt, er beherrscht auch diesen Balanceakt, er wird keinen Tropfen verschütten. Hinter Wacho und Mona geht er in Richtung Tür. Mit dem Mund greift er den alten Rahmen vom staubigen
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