Bevor Alles Verschwindet
einfacher.
»Es wird nie wieder so sein wie jetzt, wir werden nie wieder vollständig sein«, sagt Eleni, und Jeremias drückt ihre Hand, die Hand ist sehr kalt, aber kein Lebensende mehr, die Hand gehört seiner Frau, die sich davor fürchtet, mit ihm allein zu sein.
»Wir können das«, sagt Jeremias. Er sagt nicht »Wir haben doch uns«, er spart sich sein Aber-ich-bin-doch-da, er wagt es nicht, ihr ein glückliches Ende zu versprechen. Jeremias ist unsicher, ob es gutgehen kann, sie beide nach so vielen Jahren wieder allein.
»Wann geht das mit dem Friedhof los?«, fragt Eleni und auch das weiß Jeremias nicht genau. Er will so bald wie möglich fragen, verspricht er, aber wieso überhaupt will sie das wissen? Sie ist angespannt und gleich wird sie aufstehen und gehen.
»Gute Nacht«, sagt Eleni, steht auf, küsst sein Haar und lässt im selben Moment seine Hand los.
»Niemals darf mein Bruder uns sehen«, sagt Jula, und natürlich verspricht er es ihr. »Du darfst nicht zu mir kommen, wenn ich will, komme ich zu dir«, sagt sie.
»Klar«, sagt der Vogelmann. Jula drückt ihm die leere Flasche in die Hand:
»Eins noch: Das mit uns ändert nichts daran, wie ich das alles sehe und dass ich euch aufhalten werde.«
»Das kannst du nicht.« Jula lächelt.
»Das wirst du ja sehen.« Er lächelt zurück, zieht eine Augenbraue hoch, beugt sich vor. Bevor er sie küssen kann, hat sie den Bauwagen verlassen.
Mitten hindurch durch unbestellte Felder, der Fahrtwind wird das Leben wieder in sie hineinpumpen, als wäre es ihr nie verloren gegangen, und irgendwo wird sie dann einen Baum finden, irgendein Baum wird dann doch noch irgendwo stehen. Greta sieht sich schon fliegend.
Dass das Haus mittlerweile David gehört, weiß sie. Hier trifft er sich mit diesem Milo, das hat er Greta verraten, als sie ihn neulich am Pullover gepackt und gefragt hat, warum er in letzter Zeit ständig hier in der Gegend unterwegs sei. »Das Haus«, hat David gesagt, »Milo und ich restaurieren das Haus im Wald.« Greta hat ihm geantwortet, dass es den Wald nicht mehr gibt und dass das Haus sich nicht lohnt, und David hat abwesend genickt und gelächelt, gestrahlt hat er und ist weitergegangen in Richtung des Hauses.
Im Unterstand ist es nicht und auch nicht bei der Hecke. Ernst muss es irgendwo abgestellt haben, wo es geschützt ist vor Regen und Schnee und vor Greta. »Die Zeit ist vorbei«, hat Ernst gesagt und über Gretas altersfleckige Hände gestrichen, der Ring bewegt sich wieder, nach mehr als zwanzig Jahren sitzt der Ring wieder locker, sie hat nicht mehr so viel Appetit und Ernst hat sich geirrt, die Zeit ist genau jetzt. Greta erinnert sich wieder, es war in dem Haus, da hat Ernst das Ding abgestellt.
Sie weiß, wann David sich im Haus aufhält. Sie schleicht sich spätabends dorthin, er kommt erst am Morgen zurück.
Greta begeht einen Einbruch durch eine weit geöffnete Tür. Das Haus wirkt völlig unbewohnt, bis auf eine Matratze und eine alte Arzttasche auf einer groben Decke. Die ersten Stufen der Treppe sind abgeschliffen, obwohl Milo und David hier angeblich seit Wochen arbeiten, ist sehr wenig passiert. Greta findet das alte Motorrad versteckt unter einer Plastikplane in der Ecke. Wahrscheinlich ist David für den frischen roten Lack verantwortlich, vielleicht hatte er irgendwann einmal nichts Besseres zu tun, als an fremden Glücksgeräten zu schrauben, vielleicht hat er irgendwann einmal kurz nur für Greta gelebt. Wie konnte sie das Schlachtross je vergessen, sie schämt sich.
Irgendwann in ihren ersten gemeinsamen Jahren hat Ernst es mit nach Hause gebracht, von einem Freund hatte er es für eine halbe Million großer und kleiner Gefallen bekommen, zuerst wollte er es nicht, aber dann hat Ernst es doch nach Hause geschoben, für Greta, die immer wieder von der weiten Welt und nie von Kindern sprach. Sie waren rumgekommen, immer wieder fuhren sie los, auch im Winter, sie rasten durch die Nachbarländer und irgendwann reichte das nicht mehr, da nahmen sie eine Fähre und fuhren noch weiter weg und sahen Dinge, die ihnen zu Hause niemand glauben konnte und über die sie nur miteinander sprachen, nachts im Bett oder beim Zähneputzen.
Beim Fahren wechselten sie sich ab, Ernst hatte es ihr beigebracht und er war der Meinung, sie sei sehr gut. Er hat ihr vorgeschlagen, Rennen zu fahren, in der Wüste und überall sonst. Aber Greta brauchte nichts mehr als die Fahrten mit Ernst. Sie waren frei.
Greta steht in
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