Bevor Alles Verschwindet
betrachtet sie die Ruinen oder ist längst über alle Berge, und zwar ohne Gepäck.
Wacho öffnet die Haustür einen Spalt, weit genug, um mitzubekommen, wer da draußen ist, und ohne dabei selbst entdeckt zu werden. Er hat sich vorgenommen, sich tot zu stellen, falls sie heute kommen, über einem Toten werden sie das Haus nicht einstürzen lassen. Im blauen Morgenlicht stehen die Bagger, ein Bulldozer, da treiben sich schon einige Gelbhelme herum, die starten immer um sieben, die Bäckerei öffnet nur noch, wenn Eleni Lust hat zu backen. Der Ort schläft, während an den Mauern gekratzt wird.
Mona jedenfalls entdeckt Wacho nicht und selbst die Ruinen ihres Hauses sind größtenteils verschwunden. Da steht ein Container, gelb leuchtend, auch ohne die Hilfe der Sonne, die gestern alles gegeben hat und heute verschwunden ist, genau wie Mona.
Wacho beobachtet, wie ein Gelbhelm auf das Haus der
Nachbarn sechs Häuser weiter zeigt. Die sind schon längst weg, die waren unter den Ersten, gehörten zu denen, die bei der ersten vagen Erwähnung eines Untergangs geflohen sind. Aber neben dem Haus dieser Übereiligen steht das Haus der Salamanders, Haus Nummer sieben, und das wird wohl als Nächstes dran sein, aber die Familie wohnt dort noch, da steht ihr Auto, und auf dem Dach des Hauses treibt sich gerade Jules herum. Jeremias hat Wacho schon länger nicht mehr getroffen, Greta nicht, Clara, Marie und Robert. Er geht davon aus, dass sie sich verabschiedet hätten, wenn sie hätten wegfahren wollen.
Sie haben einander aus den Augen verloren, jeder hat sich in die Reste seines eigenen Lebens vergraben, man braucht jetzt all seine Kraft, um selbst das Naheliegendste zusammenzuhalten. Wacho kennt das Problem und er ist nicht gut darin, es zu lösen. Getrunken hat er schon vorher und geflucht und ab und zu hat er zugeschlagen. Das Vergessen von Wichtigem und das offensichtliche Vermissen ist neu, jetzt vermisst er Mona und gleichzeitig fehlt ihm seine Frau und Davids Geplapper, noch bevor der sprechen konnte. Bevor David sprechen konnte, da war alles gut, da war es schön, ganz bestimmt. Irgendwann aus dieser Zeit muss er stammen, der sicherste Moment, den die Verantwortlichen ihm gestohlen haben.
»Flussaufwärts ahoi«, sagt Wacho leise zu sich selbst. Er schließt die Tür, die Heizung ist kaputt, bald ist es Frühling, irgendwo treiben irgendwelche Bäume aus und draußen fällt das Haus sechs Nummern weiter.
David wacht auf vom Lärm der Bagger. Heute trifft es sie noch nicht, das Rathaus hat noch einmal eine Gnadenfrist bekommen, genau wie ihr Haus im Wald. David ist nicht überrascht, dass Milo weg ist, höchstwahrscheinlich wartet er auf ihn beim Haus, vielleicht hilft er den Verantwortlichen, es in Kisten zu verpacken oder worin auch immer man so ein Haus transportiert. David wickelt sich in die Decke, nackt
kann er auch im Rahmen des Weltuntergangs nicht am Fenster auftauchen. Ein paar der alten Regeln gelten noch.
Dort, wo Monas Haus war, wird ein Container abtransportiert. An die Familie, deren Haus sie im Moment abreißen, erinnert David sich nicht mehr. Er muss noch klein gewesen sein, als sie fortgezogen sind. Neue Besitzer hat das Haus nie gefunden, wer kauft schon ein Haus in einem Ort, der sich jederzeit in Luft auflösen kann? Früher war das Haus für ein, zwei Wochen ein Spukhaus gewesen, David hat es mit ein paar Freunden durchsucht, aber auch die sind längst weg, die meisten, mit denen David zu Wühlmauszeiten und kurz danach zu tun hatte, sind längst schon in der Stadt. Dass er übrig, dass er hier geblieben ist, kommt ihm erst schlüssig vor, seit er Milo am Tag der ersten Verantwortlichen am Brunnen getroffen hat.
Auf dem Dach der Salamanders taucht hinter Jules jetzt Jula auf, die beiden streiten sich, und vor dem Haus wartet der gefiederte Gelbhelm. Der ruft etwas hinauf zu ihnen, und Jules lehnt sich beim Zurückbrüllen so weit vor, dass David Angst bekommt, er könne runterstürzen. Jula fasst ihren Bruder und schüttelt den Kopf, sie redet auf ihn ein, zieht ihn zum Dachfenster, und schließlich drückt sie ihn zurück ins Haus. Jules wehrt sich nicht. Im Stockwerk darunter kann David Jeremias entdecken, der steht vor einem leeren Koffer. Eleni kommt dazu, legt etwas Großes hinein, und Jeremias nimmt es wieder raus. Als Eleni es erneut hineinlegen will, wendet David sich ab. Die Szene kennt er schon, diesen Ablauf proben sie seit ein paar Wochen.
Er kann auch das Haus der Schnees
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