Bevor Alles Verschwindet
sehen, wenn auch nur das Dach. Ab und zu geht Clara über den Platz auf dem Weg zur Praxis, in der sie mittlerweile vor allem die Gelbhelme behandelt. Roberts Schatten ab und zu am Dachfenster des Tore. Da probt er etwas und gibt sich geheimnisvoll. Marie haben sie bei den Wühlmäusen untergebracht, die machen letzte
Ausflüge und dürfen die Baustelle besichtigen. Familie Schnee ist in Routine versunken, jeder macht, was er immer macht, zusammen erwischt man sie in letzter Zeit nicht. Aber auf dem Dach weht eine Totenkopfflagge, die hat Marie dort aufgehängt, wer sonst. David vermutet, dass Maries Eltern bald anfangen werden zu packen, und Marie wird auf dem Boden liegen, um sich tretend die Welt verfluchen, und ihre Eltern werden sprachlos sein angesichts dieser Kraft.
Über den Hauptplatz folgen fünf übriggebliebene Katzen Maries blauem Fuchs. Sie steuern auf die Wurzeln der alten Linde zu, lassen sich dort nieder wie in einem Nest. David kann sich nicht daran erinnern, dass es vor dem Untergang mehr als zwei Katzen gab. Katastrophentourismus aus dem Tierreich, eventuell auch nur ein Missverständnis. Bald werden die Busse kommen, der Tenor der Zeitungsnachrichten wird sich ändern, die Mitleidenden werden anreisen und sich vorstellen, das alles, oje, geschähe mit ihnen, mit ihrem Dorf, ihrem Zuhause, mit ihrer Stadt.
David zieht sein T-Shirt an, Hose, Schuhe, den Anorak lässt er da. Dann klettert er hinunter und wünscht auf Höhe des Küchenfensters, seinem am Tisch schlafenden Vater in Gedanken einen guten Tag.
Nachdem sie ihn vom Dach gerettet hat, stellt Jules Jula endlich zur Rede.
»Ich kenne den Typen gar nicht«, schwört Jula und: »Der ist einfach verrückt. Die müssen alle verrückt sein, diese Gelbhelme, sonst würden die so einen Mistjob doch nie machen!« Jules glaubt ihr nicht, das kann sie nicht ändern. Er wird merken, dass sie auf seiner Seite ist, wenn sie gemeinsam den Plan ausführen.
Mit geschlossenen Augen läuft David durch den unsichtbaren Wald, er tastet nach dem Tor, das Tor ist weg. David öffnet
die Augen. Da steht ein riesenhafter Transporter, da steht eine Gruppe von Menschen, da steht Milo und sieht David nicht. Einige Verantwortliche reden, jemand telefoniert hektisch, wahrscheinlich mit der Polizei. Im Hintergrund räumen ein paar Gelbhelme klammheimlich das Werkzeug aus dem Haus, sie stapeln alles in einer der Friedhofsschubkarren, sie tragen Milos Sachen hinaus, die Arzttasche, die Lampe. Leise tritt David neben Milo, er nimmt noch nicht seine Hand, das hebt er sich auf. »Hier bin ich«, sagt David. Milo lächelt, und jetzt machen sie sich groß für die Verantwortlichen, gegen das Heer der Angreifer.
Wacho tobt im Rathaus. David hat wohl vergessen, den Tisch ordentlich unter die Klinke zu schieben, Wacho kann nicht fassen, dass sein Sohn weg ist. Aber er hat eine Idee, wo er ihn suchen muss, und wenn er ihn findet, dann kann David was erleben.
»Wie findest du sie?« Jula dreht sich um. Vor ihr steht Marie und sieht sie stolz an.
»Eine super Piratenflagge«, sagt Jula.
»Ich weiß. Die ist mir ziemlich gut gelungen. Damit ist das Haus beschützt.«
»Meinst du?« Marie nickt, überlegt, runzelt die Stirn.
»Mir fällt nichts Besseres ein. Irgendwas muss man ja machen.«
»Da hast du recht«, sagt Jula. »Mal abwarten, ob die Fahne was bringt.«
»Was machst du?«, fragt Marie. Jula überlegt, sie darf ihr nichts sagen, weder von dem Plan noch davon, dass sie die festgelegten Grenzen übertritt und sich mit einem der Gelbhelme abgibt.
»Ich bin noch am Überlegen«, sagt sie. »Aber irgendwas mache ich auch.«
»Ich gehe jetzt Eis essen bei Greta«, sagt Marie, »sie will
mir erzählen, was sie für das Jahrhundertfest plant.« Jula sieht Marie überrascht an.
»Das Fest findet statt?«
»Klar«, sagt Marie. »Greta sagt, der Ort muss gefeiert werden.« Dann eilt sie davon. Jula sieht ihr nach, wie sie in Richtung Friedhof hüpft. Nach dem Eis wird sie die Flagge wahrscheinlich schon wieder vergessen haben, so wie jedes zu lange gespielte Spiel.
»Wir müssen mit der Arbeit beginnen«, sagt eine Verantwortliche. David erkennt die Frau vom Vortag.
»Verstehen Sie nicht, wir wohnen hier«, sagt er, obwohl er sicher ist, dass sie das weiß.
»Ich weiß«, sagt die Frau, »und es tut mir leid.«
»Danke«, sagt David. Es klingt nach Hoffnung, es klingt fehl am Platz, es klingt vergeblich und ein bisschen kindisch.
»Aber«, sagt die
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