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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Scheffel
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auch »Danke schön«, und vielleicht bildet sich David das alles nur
ein. Es war jedenfalls Davids Idee, für den Notfall ein knallrotes Motorrad zu haben, mit ihm am Steuer und Milo dicht hinter sich. David dachte, ohne Ernst bräuchte Greta es nicht mehr. David dachte, das Motorrad wäre immer schon für zwei gedacht gewesen, aber anscheinend reicht auch die Idee von zwei Menschen, damit aus dem alten Ding ein Fluchtfahrzeug wird.
    »Reiß dich bitte zusammen«, sagt Greta zu Wacho, bevor sie eilig das Motorrad weiterschiebt, unter dem Arm eine Schachtel Schokoladeneis, hoffentlich erwischt sie Marie noch. Greta biegt um die Ecke, sie überführt Eis und Motorrad in ihr Revier, auf den Friedhof.
    »Komm«, sagt Wacho, »setz dich zu mir«, und dann klopft er auf die alte Treppe, auf einen knallgelben ersten Löwenzahn. David lässt sich neben ihn fallen. Er sieht zurück in Richtung des unsichtbaren Waldes, Milo kommt nicht, Milo bewacht das Haus, nicht David, auf den passt Wacho auf, der hält ihn hier fest.
    »David«, sagt Wacho, er riecht nach Flussaufwärts ahoi. »Ich bin froh, dass du da bist und dass du bleibst.«
    »Mhm«, sagt David, und weiter sagen sie nichts. Irgendwo fällt ein Haus, die Mauer erhebt sich, in der Nähe donnert die Traufe. Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, ihnen bleibt das Warten und Wacho beschwört David in Gedanken, damit der nicht einfach geht, still wünscht er sich Davids Mutter herbei, die von alldem nichts weiß. Wacho seufzt, man wird ihnen sagen, was zu tun sei, so lange können sie darauf hoffen, vergessen zu werden. Er und David und das Rathaus, der ignorante Löwe, die weiße Treppe und die Reste einer fast schon verschwundenen Welt.
    »Das Leben geht weiter«, ruft Jeremias Salamander ihnen durchs Autofenster zu, er ist fröhlich und sicherlich auch ein bisschen verrückt, er fährt immer im Kreis um den Stumpf der Linde herum, schafft es nicht abzubiegen, auf die Straße
hinaus. Wacho und David können ihm nicht helfen, sie sitzen nur da und warten.
    Greta schiebt das Motorrad an den Gräbern vorbei, sie grüßt die Steine und sie grüßt Ernst und macht ihm klar, dass er sich noch ein wenig gedulden muss. »Erst nach der letzten Turmbesteigung, Ernst, erst nach dem großen Jahrhundertfest. So lange musst du noch auf mich warten.«
    »Greta«, ruft Marie ihr von der Bank aus entgegen. »Ich hab schon die Löffel draußen.«
     
    Die Gelbhelme laden den Schutt in die Container, mit diesem Haus sind sie schneller als mit Monas. Wenn das so weitergeht, dann ist der Ort in ein paar Tagen erledigt.
    »Dieses Land mit den Ruderbooten«, sagt David.
    »Ja«, fragt Wacho und: »Was ist damit?«
    »Wo soll das sein?« Wachos Blick geht über den Hauptplatz wie der eines Anglers über einen See, in der Mitte schwebt immer noch das Modell, das bleibt, bis nichts mehr ist.
    »Ich weiß nicht«, sagt Wacho.
    »Hat sie dir geschrieben?«
    »Nein«, sagt Wacho. »Aber das macht nichts, wir kommen ja klar.« Wacho drückt David die Flasche in die Hand, und David trinkt einen Schluck, gibt sie Wacho zurück. »Ich könnte dort oben Bürgermeister werden, sie würden mich wählen, das haben sie mir mehrfach gesagt«, sagt Wacho. David nickt.
    »Du könntest Mama suchen. Du warst doch nicht ihr Problem, das war der Ort.«
    »Der Ort bleibt«, sagt Wacho. »Ganz egal, was sie mit ihm anstellen. Der Ort wird noch stärker anwesend sein, je weniger es ihn gibt. Aber deine Mutter kommt, sie kommt.«
    Wacho steht auf und geht ins Haus. Er öffnet die Tür zweimal, kein Geräusch vom Schloss, er hat es vorgestern erst geölt, alles funktioniert.
    »Komm rein«, sagt Wacho. »Hier gibt es nichts mehr zu tun oder zu sehen. Ich schließe dich jetzt vorsichtshalber wieder ein.« David nickt und steht auf. Milo kann seine Gedanken hören. Stell dir vor, wir würden einfach am Hang leben, denkt David. Das wäre doch auch was, so ein Museum. Milo antwortet ihm nicht und David weiß, dass er noch so einen Abschied nicht überstehen wird. Er hat es nicht geschafft, Milo für sich zu behalten.
    Jeremias
Drei Monate
    Über den Baustellen wird seit Tagen das Brackwasser mehrerer Generationen ausgeschüttet, die Straßen glänzen nicht mehr, der Boden ist aufgewühlt, es blüht nur noch Kurzfristiges. Der Monat benimmt sich typisch, vorhersehbar nur in seiner Willkür, dieser April. Mit den Abschiedsbildern wollten sie eigentlich warten, bis das Wetter wieder besser ist, bis sie im Frühlingssonnenschein

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