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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Scheffel
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für die Nachwelt posieren können. Aber den Nachfahren maskenhaft grinsende Gestalten vor Schuttbergen zu präsentieren, ist auch keine Option, und so pfeifen sie auf den Frühling, bestellen die Fotografin für das offizielle Abschlussbild in die graue Regenwelt, an einem Sonntag, weil es der einzige Tag ist, an dem kein Bagger durchs Bild rollen wird.
    Wacho hatte die Aufgabe, sich um die Organisation zu kümmern, aber der Bürgermeister hat sich zurückgezogen in Küche und Kneipe, und so ist es Jeremias, der sich erbarmt, der alle informiert und dafür sorgt, dass die Fotografin pünktlich auf dem Hauptplatz steht. Dass dann außer ihm selbst und ihr erst einmal niemand auftaucht, wundert ihn nicht, aber er hatte auf eine Überraschung gehofft.
    »Sie werden gleich da sein«, sagt er. Die Fotografin trägt einen gelben Regenmantel und Gummistiefel in Zebraoptik, ihr Regenschirm ist pink, darauf ein lachender Mund. Ihre Ausrüstung hat sie unter einer Baggerschaufel abgelegt und zusätzlich mit einer Plastikplane bedeckt. Sie schaut sich neugierig um, so viele interessierte Blicke erlebt der Ort erst seit
dem Abbau. Jeremias erkennt sofort, dass die geübten Augen der Fotografin zu viel sind für diese müde Welt.
    »Sie müssen entschuldigen, aber das hier sind tolle Motive«, sagt die Fotografin. »Sehen Sie nur mal die Katze dort mit ihren Kleinen und das alles vor einem verrottenden Gasthaus. Schauen Sie dort, der Sprung im Modell und der Junge oben am dreckigen Fenster.«
    »Komm jetzt, Jules«, ruft Jeremias zum Fenster hinauf. Sein Sohn schüttelt den Kopf, verschwindet dann, und Jeremias hofft, dass er es sich noch einmal überlegt. Es soll nach dem Gruppenfoto auch ein Familienfoto der Salamanders gemacht werden, so ist es mit der Fotografin abgesprochen. »Für später, wenn ihr mal Kinder habt«, hat Jeremias bei den Zwillingen geworben. »Damit die wissen, wo ihr groß geworden seid.« Jula und Jules haben Jeremias angeguckt, als wäre der ein Idiot, Jula hat ein Mal-sehn gemurmelt und Jules hat gar nichts gesagt.
    Da hinten kommt Greta auf ihrem wiederentdeckten Motorrad angefahren. Bis vor kurzem hingen noch Bilder von ihr und Ernst im Tore, zusammen konnte man sie bewundern auf diesem Ungetüm. Als Jeremias neulich noch einmal vorbeigeschaut hat, waren sie weg. Plünderer kommen in den Ort, nicht nur nachts, sie trinken ein, zwei, drei, manchmal vier Biere, sie bedienen sich. Ganz zu Beginn, hat der Wirt Jeremias neulich erzählt, habe er versucht, sie davon abzuhalten. Verwundert hätten sie dreingeschaut und gefragt, ob er den ganzen Kram etwa mitnehmen wolle, die Entschädigungssumme müsse doch groß genug sein, um sich eine neue, modernere Ausstattung zu kaufen. Er hat sie dann hinausgeworfen, aber es tat ihm leid um den Verdienst. Die Plünderer waren Auswärtige, sie hätten Extraeinnahmen gebracht. Als das mit der Plünderei zunahm und es im Tore enger wurde, weil sich unter den Fremden herumsprach, hier seien die besten Geschichten zu hören, hat der Wirt es aufgegeben, die Plün
derer des Platzes zu verweisen. »Im Grunde ist der Kram tatsächlich nichts wert«, hat er zu Jeremias gesagt, und der hat genickt und zu David hinübergeschaut, der stumm wie immer seine Arbeit machte und dabei misstrauisch von Wacho beobachtet wurde. David, der den Fremden ihr Bier brachte, schneller als den Übriggebliebenen. Der Wirt will nicht fotografiert werden, er poliert heute die Zapfanlage, er hat keine Zeit.
    Greta bremst dicht neben Jeremias und der Fotografin, die nimmt sofort Witterung auf:
    »Darf ich ein Bild von Ihnen auf dem Motorrad machen?«
    »Aber natürlich«, sagt Greta, »warum nicht?« Auf dem ledernen Sattel wirft sie sich in Pose, sie hätte Kunstreiterin werden können, könnte sie jetzt noch, mit fast hundert. Greta turnt der Fotografin etwas vor und Jeremias wendet verlegen den Blick ab.
    »Wie geht es dir, Jeremias?«, fragt Greta nach der Turnerei, sie ist völlig außer Atem. Sie fragt nicht, wo die anderen sind.
    »Es geht«, sagt Jeremias. »Und dir?«
    »Sehr gut«, sagt Greta, sie hört sich an wie siebzehn, unbeschwert.
    »Da kommen noch mehr«, sagt die Fotografin. Es klingt, als hätte sie Affen von ihren Bäumen gelockt.
    Energisch steuert Clara auf die kleine Gruppe zu, zögernd folgen Robert und Marie, die trägt unter dem Arm den bunten Totenkopf, man trifft sie nicht mehr ohne das Ding an, und Jeremias hat längst aufgehört, das grotesk zu finden.
    »Wie macht er

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