Bevor der Abend kommt
tun habe.«
»Ich bin gleich da«, sagte Cindy und legte auf.
»Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?«, fragte Neil.
Cindy zuckte die Achseln. Sie war sich in gar nichts mehr sicher. »Vielleicht lenkt es mich von meinen eigenen Problemen ab, wenn ich mich für ein paar Stunden in die anderer Menschen vertiefe.«
»Du bist wirklich erstaunlich«, sagte Neil.
»Ich habe gut geschlafen.«
Neil küsste sie sanft auf den Mund. Sein Haar roch nach Apfelshampoo. »Ich sollte jetzt besser nach Hause fahren und mich für die Arbeit umziehen.«
»Richte Max vielen Dank aus, dass er seinem Vater die ganze Nacht Ausgang gewährt hat«, sagte Cindy, als sie ihn ein paar Minuten später an die Haustür brachte.
»Ich ruf dich an.«
Cindy sah ihm nach, bevor sie nach oben rannte und merkte, dass sie sich besser – optimistischer – fühlte – als seit Tagen. Lag es daran, dass sie tatsächlich zum ersten Mal seit Wochen wieder eine Nacht durchgeschlafen hatte? Dass sie seit Jahren endlich wieder Sex hatte? Dass sie glaubte, sich möglicherweise zu verlieben? »Wie kann ich einer Zeit wie dieser auch nur daran denken, mich zu verlieben?«, fragte sie das stille Haus,
streifte in dem Bewusstsein, vollkommen allein zu sein, im Flur im ersten Stock ihren Bademantel ab. Ihre Mutter würde sie nicht ermahnen, dass sie sich verkühlte, ihre Schwester war nicht da, um darauf hinzuweisen, dass auch sie einen flachen Bauch haben könnte, wenn sie wie Cindy Zeit hätte, ins Sportstudio zu gehen; Heather hielt nicht verlegen und ein bisschen besorgt den Atem an, und auch Julia war nicht hier, um ihr zu erklären, dass sie sich doch bitte etwas anziehen sollte …
Julia war nicht da.
»Ich bin ganz alleine«, sagte Cindy, worauf der Hund angerannt kam und ihr die Zehen leckte. »Nun ja, vielleicht nicht ganz alleine«, verbesserte sie sich, dankbar für die Anwesenheit des Tieres. Sie kniete sich hin, streichelte Elvis und sah, wie er sich auf den Rücken drehte und ihr den Bauch hinhielt. »Danke, dass du da bist«, erklärte sie ihm und verwöhnte ihn mit ein paar von Herzen kommenden sanften Kraulern. Elvis knurrte behaglich, streckte sich und verlangte mit den Pfoten in die Luft schlagend nach mehr.
Nicht aufhören , schien er zu sagen. Nicht aufhören .
Nicht aufhören , hörte sie sich in seliger Ekstase rufen, während Neil seinen Kopf zwischen ihren Schenkeln vergraben hatte.
»Ich mache es schon wieder«, sagte sie laut. Wie kann ich glücklich sein? Wie kann ich voller Hoffnung für die Zukunft sein, wenn die Gegenwart so ungeklärt ist?
Doch sie empfand tatsächlich Hoffnung. War das vielleicht eine Art Vorahnung, fragte Cindy sich, während sie duschte und sich anzog.
Vielleicht wurde Julia in diesem Moment gerettet, stellte Cindy sich vor und rannte nach unten in die Küche. Vielleicht würde die Polizei jede Minute mit der guten Nachricht vor ihrer Tür stehen. »Und ich bin nicht da«, sagte sie und entschied, Detective Bartolli anzurufen, um ihm mitzuteilen, wo sie war. Für alle Fälle. Sie hinterließ die Telefonnummer der Sellicks bei
dem Beamten, der ans Telefon ging, schloss Elvis in der Küche ein und verließ eilig ihr Haus.
Als sie die Haustür der Sellicks erreichte, bog ein schwarzer Caprice in die Einfahrt.
»Könnten Sie Ryan sagen, dass seine Fahrerin da ist?«, rief eine attraktive junge Frau, die sich aus dem Seitenfenster beugte. Sie hatte schulterlange, rote Locken und trug eine tief ausgeschnittene, geblümte Bluse.
Cindy lächelte ihr zu und nahm ihre Bitte mit einem Nicken entgegen.
»Cindy, Gott sei Dank«, sagte Ryan, als er die Tür öffnete.
»Ihre Fahrerin ist da.« Cindy wies mit dem Kopf in Richtung Einfahrt und betrat den Flur.
Ryan machte der jungen Frau ein Zeichen und schloss die Tür. »Das Baby schläft«, sprudelte er los und rückte seine dunkelblaue Krawatte zurecht. »Faith hat Milch abgepumpt, die Flaschen stehen im Kühlschrank. Sie müssen sie nur eine Minute lang in der Mikrowelle aufwärmen …«
»Ryan«, unterbrach ihn Cindy behutsam. »Alles okay. Ich weiß, was zu tun ist.«
»Ja, natürlich.« Sein Blick huschte über den Boden wie ein Besen. »Verdammt. Wo habe ich meinen Aktenkoffer hingestellt?«
»Meinen Sie den da?« Cindy zeigte auf einen schwarzen Lederkoffer, der neben der Küchentür an der Wand stand.
»Genau.« Er machte zwei Riesenschritte, nahm den Koffer und drückte ihn fest an seinen grauen Anzug, während sein Blick von der
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