Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bevor der Abend kommt

Titel: Bevor der Abend kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
Vom Netzwerk:
hörte der Säugling unverzüglich auf zu brüllen.
    Das war ja leicht, dachte Cindy, blieb neben dem Gitterbett stehen und schaukelte das Kind weiter. Zu leicht, erkannte sie im nächsten Moment, als das Baby in ihren Armen ganz steif wurde und Hände und Füße ausstreckte wie ein Frosch auf dem Sprung. Weiteres Geschrei zerriss die Luft. »Du liebe Güte«, murmelte Cindy und stieß die Tür des Kinderzimmers mit dem Fuß zu. Hatte Julia je so laut geschrien? »Brauchst du eine frische Windel? Ist das das Problem?«
    Cindy sah sich in dem Kinderzimmer um und bemerkte zum ersten Mal, was für ein wunderschöner Raum es war. Hellblaue Wände, ein Bettchen aus gebleichtem Holz, eine von Hand bemalte Kommode, ein hohes Regal über drei Wände mit weichen, bunten Stofftieren, ein Bentwood-Schaukelstuhl neben dem kleinen Fenster, dessen Vorhänge aus dem gleichen feinen blau-weißen Gingan waren wie die Laken des Bettchens. An
der Deckenlampe hing ein Mobile mit tanzenden Elefanten, über dem Bettchen baumelte ein weiteres mit pastellfarbenen Schmetterlingen. »Alles, was man sich nur wünschen kann«, erklärte Cindy dem schreienden Säugling und legte ihn auf den Wickeltisch an der einen Wand und griff in den riesigen Karton mit Windeln zu ihren Füßen. »Wir machen dich schön sauber, und dann geht es dir wieder gut. Du wirst sehen.« Sie knöpfte den sauberen weißen Strampelanzug auf und zog dem Kind mit sicherem und geübtem Griff die Windel aus. »Es ist wie Fahrrad fahren«, erklärte sie dem Kleinen, worauf dieser noch lauter schrie. »Ich sehe, du bist nicht besonders beeindruckt.« Und feucht war er auch nicht, wie sie erkannte, als sie die trockene Windel durch eine frische ersetzte. Als sie diese gerade zumachen wollte, sprudelte eine Urinfontäne knapp an ihren Augen vorbei. Cindy zuckte verblüfft zurück. »Oh je«, sagte sie im Tonfall ihrer Mutter. »Na ja, ich hatte nur Mädchen. So etwas machen die nicht.« Sie wischte den Wickeltisch ab, zog dem Kleinen die nunmehr nasse Windel wieder aus und eine weitere frische an, bevor sie das Baby sanft wieder in seinen Strampelanzug bugsierte und ihn aus dem Zimmer trug. »Psst«, mahnte sie, als sie am Elternschlafzimmer vorbei nach unten ging. »Wir wollen doch Mommy nicht wecken.« Mommy braucht einen Psychiater, dachte Cindy und ging an dem unaufgeräumten Wohnzimmer vorbei in die nun ordentliche Küche. Oder zumindest eine Haushälterin. Sie machte den Kühlschrank auf, entdeckte eines der Fläschchen und stellte es in die Mikrowelle, während das Schreien des Babys weiter durchs Haus gellte. »Alles in Ordnung, Schätzchen. In null Komma nichts bist du versorgt.«
    Oder auch nicht, dachte Cindy, als der Kleine sich weigerte, das Fläschchen zu nehmen. »Komm schon, Schätzchen. Du kannst es. Hmmm. Warme Milch. Das ist lecker. Probier mal.«
    Cindy trug das Baby ins Wohnzimmer, ließ sich auf das kissenlose grüne Samtsofa sinken, wobei sie Kyle in den Armen
hielt, wie sie Julia gehalten hatte. Sie hatte Julia fast ein Jahr gestillt, erinnerte sie sich voller Wärme und spürte, wie Kyles Lippen über ihr T-Shirt streiften und ihre Brust suchten. »Oh, Schätzchen, tut mir schrecklich Leid. Ich habe keine Milch. Aber ich habe dieses leckere Fläschchen.« Während Kyle seinen Kopf widerstrebend abwendete, versuchte sie, ihm den Gummisauger in den Mund zu schieben. »Komm schon, Schätzchen. Probier doch wenigstens mal.«
    Und mit einem Mal schlossen sich seine Lippen um den Sauger, seine Schreie brachen zitternd ab, und er konzentrierte seine ganze Kraft darauf, die Flasche zu leeren.
    »So ist brav. Genau so. Jetzt hast du es.«
    Julia hatte auch immer mit der gleichen wilden Entschlossenheit gesaugt. Cindy erinnerte sich an das kräftige Ziehen an ihrer Brust, wenn Julia sich an sie schmiegte, um gestillt zu werden. Sie küsste Kyle auf den mit daunenweichem Flaum überzogenen Kopf und versuchte, sich eine vergleichbare Erfahrung mit Heather ins Gedächtnis zu rufen. Aber sie hatte kaum Erinnerungen daran, Heather gestillt zu haben, und wenn, drehten sie sich meistens um Julia, die schreiend vor Cindys Füßen gehockt und die Arme fest um die Knie ihrer Mutter geschlungen hatte, wenn Cindy versucht hatte, ihre jüngere Tochter zu stillen. Irgendwann waren die Nerven aller Beteiligten zerrüttet, und Cindy hatte Heather im Alter vom kaum zwei Monaten auf die Flasche umgestellt.
    »Na, na. Schau sich das einer an.« Cindy beobachtete, wie die Milch

Weitere Kostenlose Bücher