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Bevor ich sterbe

Bevor ich sterbe

Titel: Bevor ich sterbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Downham
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machst mir Angst.«
    Ich schaue mir sein Gesicht von oben an, und es ist mir egal.
    Manchmal habe ich einen bestimmten Traum, da gehe ich zu Hause rum, nur so durch die Zimmer, und niemand in meiner Familie erkennt mich. Ich begegne Dad auf der Treppe, und er nickt mir höflich zu, so als wär ich gekommen, um das Haus zu putzen, oder als ob es eigentlich ein Hotel wäre. Cal beobachtet mich misstrauisch, während ich in mein Zimmer gehe. Da drin sind alle meine Sachen weg, und ein anderes Mädchen ist an meiner Stelle da, eine in einem geblümten Kleid, mit knallrotem Kirschmund und Apfelbäckchen. Das ist mein Parallelleben, denke ich. Das, in dem ich gesund bin, in dem Jake sich glücklich schätzen würde, mich kennengelernt zu haben.
    Im wirklichen Leben zerre ich meinen Bruder den Treidelpfad entlang zu dem Café mit Blick auf den Kanal.
    »Das wird prima«, erzähle ich ihm. »Wir bestellen uns Eis und Kakao und Cola.«
    »Du sollst keinen Zucker essen. Ich sag’s Dad.«
    Ich fasse seine Hand noch fester. Etwas weiter vorn steht ein Mann auf dem Weg, zwischen uns und dem Café. Er hat einen Schlafanzug an und schaut auf den Kanal. Aus seinem Mundwinkel baumelt eine Zigarette.
    Cal sagt: »Ich will nach Hause.«
    Aber ich will ihm die Ratten auf dem Treidelpfad zeigen, das
brutal von den Bäumen gerissene Laub, dass die Leute allem Schwierigem aus dem Weg gehen, dass dieser Mann im Schlafanzug echter ist als Zoey, die mit ihrer großen Klappe und ihren dummen blonden Haaren hinter uns hertrottet.
    »Geh weg«, sage ich ihr, ohne mich erst umzudrehen.
    Sie packt mich am Arm. »Warum musst du aus allem so ein Drama machen?«
    Ich schüttle sie ab. »Ich weiß nicht, Zoey. Was glaubst du wohl, warum?«
    »Es ist doch schließlich kein Geheimnis. Jede Menge Leute wissen, dass du krank bist. Jake hat es nichts ausgemacht, aber jetzt denkt er, du wärst komplett durchgeknallt.«
    »Ich bin komplett durchgeknallt.«
    Sie mustert mich aus schmalen Augenschlitzen. »Ich glaube, du bist gerne krank.«
    »Ach ja?«
    »Du erträgst es nicht, normal zu sein.«
    »O ja, wie recht du doch hast, es ist toll. Willst du tauschen?«
    »Alle müssen sterben«, sagt sie in einem Ton, als wäre ihr das eben erst aufgefallen und würde ihr persönlich nichts ausmachen.
    Cal zupft mich am Ärmel. »Guck mal«, sagt er.
    Der Mann im Schlafanzug ist in den Kanal rausgewatet. Er planscht im Seichten rum und klatscht mit der flachen Hand aufs Wasser. Erst sieht er uns ausdruckslos an, dann lächelt er, wobei mehrere Goldzähne aufblitzen. Ich spüre ein Prickeln in der Wirbelsäule.
    »Wie wär’s mit’nem Bad, meine Damen?«, ruft er. Er hat einen schottischen Akzent. Ich war noch nie in Schottland.
    »Geh zu ihm rein«, sagt Zoey. »Mach schon.«
    »Befiehlst du es mir?«
    Sie grinst mich hinterhältig an. »Ja.«
    Ich schaue zu den Tischen vor dem Café. Die Leute starren
zu uns rüber. Sie werden mich für einen Junkie halten, eine Irre, einen Fall für die Klapse. Ich raffe mein Kleid und stecke es mir in den Slip.
    »Was machst du da?«, zischt Cal. »Die Leute gucken alle!«
    »Dann tu so, als ob du nicht zu mir gehörst.«
    »Mach ich auch!« Trotzig setzt er sich ins Gras, während ich mir die Schuhe ausziehe.
    Ich tunke den großen Zeh rein. Das Wasser ist so kalt, dass mein ganzes Bein vor Taubheit erstarrt.
    Zoey berührt mich am Arm. »Lass es, Tess. Ich hab’s nicht so gemeint. Sei nicht dämlich.«
    Kapiert sie denn gar nichts?
    Ich stürze mich bis zu den Oberschenkeln rein, sodass verschreckt quakende Enten aufstieben. Es ist nicht tief, etwas schlammig, wahrscheinlich aller mögliche Müll auf dem Grund. Ratten schwimmen in diesem Wasser. Die Leute werfen Blechdosen, Einkaufswagen, Nadeln und tote Hunde rein. Der weiche Schlamm quatscht zwischen meinen Zehen.
    Goldzahn watet lachend und winkend auf mich zu und klatscht sich auf die Seiten. »Recht so«, sagt er. Seine Lippen sind blau, seine Goldzähne funkeln. Er hat einen Schnitt am Kopf, aus dem ihm das frische Blut vom Haaransatz in die Augen sickert. Von dem Anblick wird mir noch eisiger.
    Ein Mann tritt aus dem Café und wedelt mit einem Geschirrtuch. »He!«, ruft er. »He, kommt da raus!«
    Er hat eine Schürze um, und sein Bauch schwabbelt, während er sich vorbeugt, um mir zu helfen. »Bist du verrückt?«, sagt er. »Von dem Wasser kannst du krank werden.« Er dreht sich zu Zoey um. »Gehören Sie zu ihr?«
    »Tut mir leid«, sagt sie. »Ich konnte sie

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