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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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hatte. Die Ausbildung. Die Karriere. Die Zukunft.
    Und alles wegen Vater.
    Die Bücher lagen unberührt zu Hause, während ich in der Stadt unterwegs war. Ich überquerte die St . Olavs gate und ging weiter auf der Universitetsgate, an der Nationalgalerie und dem großen grauen Gebäude vorbei, in dem der Verlag Gyldendal Norsk seine Büros hat. Ich blickte verstohlen auf zu denen, die tief konzentriert hinter den Fenstern saßen. Vielleicht lasen sie gerade ein Manuskript? Etwas, das zu einem Buch werden würde, einem Gedichtband oder einem Roman? Ich erinnerte mich an Ruths Worte vor langer Zeit, die mich nie losgelassen hatten. Aber ich hatte nie gewagt, an sie zu glauben. Ich hatte mir damals ja selbst versprochen, nie mehr zu lügen, und ich hatte nie den Traum gehabt zu schreiben. Eher im Gegenteil. Ich wollte doch Jurist werden. Ich wollte Ordnung und Übersicht. Ich wollte das Gesetz in- und auswendig kennen und Recht von Unrecht unterscheiden. Ich wollte etwas ganz anderes werden. Ich hatte nichts übrig für so genannte Künstler. Leute, die meines Erachtens in ihrem Leben gescheitert waren, Leute, die es nicht geschafft hatten, eine Ausbildung zu beenden, und die stattdessen angefangen hatten zu malen oder zu schreiben oder sonst etwas zu tun, was ihrem Leben einen Anschein von Sinn und Würde geben sollte.
    All diejenigen, die auf der Schattenseite des Lebens gelandet waren. Auch das steckte noch in mir.
    Und nun stand ich dort und starrte auf das graue Gyldendal-Gebäude, das in der warmen Maisonne etwas Verlockendes hatte; und als ich weiterging, begriff ich, dass es mich an den Balkon des alten Ladens von Brandsvoll erinnerte, von dem die Fahnenstange über der Straße hing. Oft hatte ich davon geträumt, darauf zu stehen und hinunterzusehen.
    Ich ging am Det Norske Teatret vorbei und erreichte schließlich die Akersgata. Ich stieg die breiten Treppen hinauf zum Regierungsgebäude und kam endlich zur Deichmanske Bibliotek. Dorthin wollte ich. Als ich eintrat, wurde plötzlich alles still, nicht nur um mich herum, sondern auch in mir. Alles hielt inne. In mir breitete sich ein sanftes und ruhiges Gefühl aus, und ich blieb mehrere Stunden sitzen und las Romane und Gedichtbände, bis mir schwindlig wurde. Am folgenden Tag tat ich genau dasselbe und am übernächsten Tag ebenfalls. Ich rieche noch den säuerlichen Geruch des Treppenhauses; der Läufer, der mitten auf der Treppe lag, war am unteren Ende feucht und glitschig, er wurde trockener, wenn man die Treppe hinaufging. Das von den vielen Händen blank gescheuerte Geländer und all die Bücherregale, bestimmt waren es mehrere hundert Mal so viele wie in der Bibliothek von Lauvslandsmoen, und die ruhige Frauenstimme, die jeden Abend kurz vor acht aus den Lautsprechern mitteilte, dass es an der Zeit sei, nach Hause zu gehen, da die Türen nun geschlossen würden.
    Am Tag vor dem Examen rief er an. Es war gegen Abend, und ich war gerade mit einer Tasche voller neuer Bücher aus der Bibliothek nach Hause gekommen. Das Telefon klingelte munter, ich stellte die Tasche ab und trat ans Fenster.
    Seine Stimme klang kraftlos, als hätte er getrunken. Aber Vater trank nie. Ich stand am Fenster und blickte auf die Straßenlaternen, die an einem straffen Stahldraht über der Straße schaukelten.
    »Morgen ist der große Tag«, sagte er.
    »Was meinst du?«, erwiderte ich.
    »Musst du da nicht zum Examen?«
    »Ja, sicher.«
    »Und du hast alles unter Kontrolle?«
    »So gut wie«, antwortete ich.
    »Ich wünsch dir viel Glück!«
    »Danke«, sagte ich.
    Wir redeten noch ein bisschen über andere Dinge, ich erinnere mich nicht mehr, worüber, und legten auf. Er zuerst. Ich blieb noch eine ganze Weile mit dem Telefon in der Hand stehen. Dann warf ich mir die Jacke über und ging in den Underwater Pub, der gleich neben meiner Wohnung lag, und bestellte einen halben Liter. Es war das erste Mal, und man merkte es mir sicherlich an. Ich wusste nicht, ob ich sagen sollte ein Bier, danke . Oder ein Pils . Oder einen halben Liter . Es endete damit, dass ich nur einfach kurz in Richtung Zapfhahn nickte; und vielleicht hielt mich das junge Mädchen hinter dem Tresen für einen Ausländer, der weder Englisch noch Norwegisch sprach. Ich stand ein wenig verlegen am Tresen und wartete, bis mein Glas gefüllt war, dann setzte ich mich hinten ins Lokal und trank in langen Zügen. Hinterher bezahlte ich und ging hinaus in den milden Abend. Ich hatte Angst, jemand könnte mich sehen

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