Bevor ich verbrenne
lauter. Drehte es wieder leiser. Schaltete es ganz aus. Er hielt am alten Schießstand, zündete sich eine weitere Zigarette an, schnipste sie aber nach wenigen Zügen von sich und trat sie fest in den Schotter, bis sie aufhörte zu qualmen. Lange stand er nur da und horchte. Bleierne Müdigkeit breitete sich langsam in seinen Armen aus, wie eine Art Gift. Dann griff er zu dem Kleinkalibergewehr auf dem Rücksitz. Er legte auf dem Autodach an und zielte lange, bevor er abdrückte. Es waren bestimmt über hundert Meter bis zu dem Straßenschild mit dem schwarzen Elch. Er setzte sich ins Auto und fuhr hin, um nachzusehen. Mitten in dem Dreieck zeigte sich eine dunkle Vertiefung, mitten in dem schwarzen Tier. Ein perfekter Schuss in die Mitte des Rings.
Langsam fuhr er die langen Hügel hinunter, vorbei an Djupesland, aber auch dort war niemand zu sehen. Als wäre die ganze Gemeinde verlassen, als wären alle verreist, es gab hier keinen einzigen Menschen mehr außer ihm. Er fuhr am Haus in Sløgedal vorbei, das leer und ruhig dastand, und hielt schließlich vor der Feuerwache. Dort blieb er einige Minuten stehen, der Motor lief im Leerlauf. Es begann, dunkel zu werden. Der Himmel war im Westen noch hell, aber der Wald sah bereits dunkel und einförmig aus, die Bäume glitten wie Schatten ineinander und bildeten eine schwarze, undurchdringliche Wand. Er würgte den Motor ab, suchte im Handschuhfach, fand den Schlüssel zur Feuerwache und schloss auf. Im Halbdunkel der Garage roch es nach Schmieröl, Diesel und altem Rauch. So hatte es gerochen, solange er sich entsinnen konnte. Wo auch immer er sich befand, er konnte die Augen schließen und exakt diesen Geruch wahrnehmen. Das Feuerwehrauto glänzte im Licht der Hoflampe, rotschimmernd, beinahe schwarz. Er ließ die Hand über die Seite gleiten. Das Metall fühlte sich kalt und glatt an, den Fingerspitzen bot sich so gut wie kein Widerstand. Er öffnete die Schiebetür am Heck des Fahrzeugs. Er musste sich anstrengen, um sie aufzudrücken. Insgesamt drei Kanister standen im Kofferraum, er hob sie nacheinander an. Der linke Kanister war halbvoll, nicht zu schwer, perfekt. Er hob ihn lautlos heraus und trug ihn zum Wagen. Dort stellte er ihn auf den Boden vor dem Rücksitz und warf ein paar Kleidungsstücke darüber. Dann verschloss er die Tür der Feuerwache, setzte sich ins Auto und fuhr die wenigen Meter bis nach Hause.
Er ging in sein Zimmer, schaltete das Radio ein und blieb dort mehrere Stunden. In Argentinien begann das zweite Spiel des Abends um Viertel vor elf. Alma und Ingemann saßen im Wohnzimmer und sahen fern. Niederlande gegen Deutschland, von den über vierzigtausend Zuschauern im Stadion ging eine konstante Lärmkulisse aus. Alma hatte ihr Strickzeug zur Hand genommen und sah nur auf, wenn der Kommentator, es war Knut Theodor Gleditsch, die Stimme hob. Es stand 1:1. Die Uhr zeigte kurz nach halb zwölf. Die Stricknadeln klapperten hektisch. Alma hatte das Gefühl, auf dem Dachboden Dags Stimme zu hören. Ihre Finger erstarrten, sie schaute Ingemann an, doch der lag zurückgelehnt im Sessel, ihm fielen die Augen zu. Sie legte ihr Strickzeug beiseite, stand abrupt auf, ging in den Flur und horchte, eine Hand am Geländer. Sie hörte ihn dort oben reden. Es war ganz deutlich. Das war nicht das Radio, das war auch nicht der Fernseher. Das war er. Sie ging in die Küche, sah auf die Uhr, ließ warmes Wasser ins Waschbecken laufen und blieb dann einfach stehen und starrte ins Wasser. Schließlich zog sie den Stöpsel, trocknete sich die Hände am Küchenhandtuch und trat wieder in den Flur. Oben war es ruhig geworden. Keine Stimmen, nichts.
Dann ging die Tür auf, und er kam langsam die Treppe hinunter.
»Du stehst hier, Mama?«
»Ja«, sagte sie und versuchte, ihm in die Augen zu schauen.
»Siehst du dir nicht das Spiel an?«
»Nein«, antwortete sie.
»Das gibt doch tatsächlich ein Unentschieden!«, rief Ingemann aus dem Wohnzimmer, er war plötzlich aufgewacht und streckte sich in seinem Sessel.
»Sie kriegen, was sie verdient haben«, antwortete Dag.
»Wer?«, wollte Alma wissen.
»Diejenigen, die nicht gewinnen können.«
Alma blickte ihn lange an. Er wirkte erschöpft. Die Augen waren rot und geschwollen. Ein Auge etwas kleiner als das andere. Ein Phänomen, wenn er nicht geschlafen hatte. Es wurde schmaler. Seit seiner Kindheit war es so.
»Du siehst müde aus, Dag«, sagte sie.
»Findest du?«, erwiderte er. Etwas Heiteres zeigte sich in
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