Bevor ich verbrenne
Straßen. Ich erinnere mich an eine große Menschenmenge, einen schwankenden Tanzboden, scharfe Lichtblitze, verschwitzte Körper, Haare über meinem Gesicht, Hände auf den Schultern, den Geruch von Parfüm und einen Bass, der tief im Magen dröhnte. Ich war umgeben von einer heißen, pulsierenden Dunkelheit und Menschen, die von überall her riefen und lachten, und doch war ich ganz allein. Ich trieb davon. Und niemand sah es. Und niemand dachte diesen Gedanken. Schließlich war es ein Fest. Wir waren doch in der Stadt, um zu feiern. Ich trank vier Drinks hintereinander, alle mit einem kleinen Sonnenschirmchen, das ich hinter mich warf; ich weiß nicht, woher ich die Gläser hatte, ob ich sie jemandem weggenommen oder mir selbst gekauft hatte, aber ich erinnere mich an die kleinen Sonnenschirmchen und daran, dass der Boden anfing zu schwanken. Ich schrie in das Gesicht eines Mädchens mit langen dunklen Haaren und Augen, die zu schwimmen schienen. Sie stand ganz nah bei mir, als ich irgendetwas brüllte, und trotzdem verstand sie offenbar kein Wort; aber vielleicht irrte ich mich ja auch, vielleicht brüllte ich ja überhaupt nicht, vielleicht stand ich ja dort mit schwimmenden Augen und vollkommen ruhig, während sie brüllte. Ich bin nicht sicher. Aber kurz darauf wurde alles schwarz.
In meiner Erinnerung fehlen ein paar Minuten oder Stunden, bevor ich mich wiederfinde, wie ich über die menschenleere Straße am St . Olavs plass im Stadtzentrum gehe. Ich versuchte, mich an den Fassaden der Mietshäuser zu stützen, während die ganze Welt davonsegelte. Plötzlich war alles um mich herum still, ich hörte nur meine eigenen ungleichmäßigen, schlurfenden Schritte. Ich weiß noch, wie ich dachte: Stille . Stille. Stille. Stille . Ich begegnete vereinzelten Gruppen von Menschen, ich sah, wie sie sich aus der Ferne schattenhaft näherten. Und plötzlich befanden sie sich unmittelbar vor mir, ich brüllte irgendetwas, streckte die Arme aus und stellte mich ihnen in den Weg; ich erinnere mich nicht, was ich dachte oder erreichen wollte, aber kurz darauf spürte ich einen brennenden Schmerz an der Wange, direkt am Ohr, und begriff, dass mich jemand ins Gesicht geschlagen hatte. Dann war ich wieder allein, die Menschen waren verschwunden und die Welt glitt seitwärts davon. Ich versuchte, mir darüber klar zu werden, was eigentlich passiert war. Jemand hatte mich geschlagen. Ich wusste nicht, warum. Ich spürte nur, dass mir die Wange wehtat. Ich kam schließlich zum Ullevålsveien und hielt mich links. Ich hatte keinen klaren Gedanken im Kopf, doch gleichzeitig gab es etwas in mir, das alles betrachtete. Etwas, das die ganze Zeit über klar und rational dachte. Diese Klarheit hatte ich, als ich im Examen saß, und diese Klarheit führte mich jetzt über die Straße und durch das Tor des Friedhofs ›Unser Erlöser‹. Du hast mit Absicht dein Examen geschmissen , sagte eine nüchterne Stimme in mir. Du hast das Examen geschmissen, und du hast dich total besoffen. Du hast deinen Vater belogen, und du wurdest gerade niedergeschlagen, und jetzt bist du auf dem Weg zum Friedhof.
Auf dem Friedhof herrschte vollkommene Dunkelheit. Es hatte hier in der letzten Zeit eine Reihe von Überfällen gegeben, aber das war mir egal. Beinahe hätte ich mir gewünscht, dass mich jemand überfiel, dass sich jemand von hinten an mich heranschlich und mir hart auf den Kopf schlug, damit ich das Bewusstsein verlor und zu Boden sank. Den Schlag, den ich ins Gesicht bekommen hatte, spürte ich kaum, nun wünschte ich mir mehr, etwas Handfestes, einen ordentlichen Schlag auf den Hinterkopf, der das Glas zum Klirren und die Sterne zum Tanzen brachte. Irgendjemand würde mich am nächsten Tag finden, und dann könnte es mir auch egal sein, ob ich noch am Leben war oder nicht. Solche Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich über die kiesbestreuten Wege schlingerte, die zum Ehrenhain des Friedhofs führten, auf dem all die großen Autoren und Komponisten lagen. Meine Gedanken waren undeutlich und verschwommen, gleichzeitig aber sonderbar klar. Ich torkelte dort in der Dunkelheit zwischen den Grabsteinen, ohne zu wissen, wohin ich wollte. Zwischendurch registrierte ich ein Auto, das auf dem Ullevålsveien vorbeifuhr, aber es war lediglich ein ferner Atemzug aus einer anderen Welt. Dann stellte ich mich auf, um zu pissen. Ich wusste nicht, was vor mir lag. Das heißt, ich wusste schon, dass es sich um irgendein Grab handelte, aber ich hatte
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