Bevor ich verbrenne
machen.«
»Ich kann nicht glauben, dass es wahr ist«, sagte Kasper.
»Nein, niemand von uns«, erwiderte Alfred.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Helga, aber niemand antwortete ihr. Was sollte man sagen? Was sagt man zu zwei Menschen, die gerade ihr Haus verloren haben?
»Wir kamen zu spät«, sagte Alfred leise. »Wir kamen zu spät.«
Sie starrten auf den Schornstein, der sich im Halbdunkel erhob. Der Trecker stand auch noch da, schwarz und ausgebrannt, er erinnerte an den Panzer eines Käfers, der langsam in der Sonne vermoderte. Ein Fiat, 1965er Modell, aber so gut wie neu. Er war die Ursache der vier Explosionen. Die Reifen hatten Feuer gefangen; sie hatten offenbar eine ganze Weile gebrannt, bevor sie alle vier unter gewaltigem Druck in die Luft flogen. Das hatte Olga gehört. Das hatte das Meer zum Kochen gebracht.
In diesem Moment kam der Feuerwehrwagen zurück. Sie hörten, wie die Sirenen sich näherten. Dann sahen sie den flackernden Schein des Blaulichts, hörten das Aufheulen des Motors an den letzten Hügeln. Sirene und Blaulicht wurden erst abgestellt, als der Wagen zum Stehen gekommen war. Ein junger Mann, eher ein Junge, stieg aus. Sie erkannten ihn sofort, es war der Sohn des Brandmeisters Ingemann aus Skinnsnes. Im Feuerwehrwagen brachte er eine Tüte voller Esswaren mit.
»Warst du einkaufen?«, fragte jemand, aber der Junge antwortete nicht. Er stellte die Tüte auf den Boden, sie fiel um, als er sich umdrehte. Kasper und Helga sahen zu, wie er eine Weile an der Brandstelle auf und ab ging. Dann kam er zurück und suchte etwas in der Tüte. Sie hatten es bisher nicht bemerkt, aber auch vom Haus und der Scheune stieg noch Rauch auf. Es war ein dünner, grauer Rauch, beinahe wie Dampf, der sich sofort auflöste.
»Wer will ein Würstchen!«, schrie der Junge.
Er musste zum Waldrand gehen, um einen geeigneten Stock zu finden. Dann spießte er ein Würstchen auf und stakste in die Ruine, ungefähr dorthin, wo das Wohnzimmer gestanden hatte. Er hatte nicht viel an, nur ein weißes Hemd, und hielt die Arme vom Körper abgespreizt, als liefe er über Glas. Er folgte den Grundmauern ein Stück, dann drehte er um und kehrte zurück. Es gab keine Flammen mehr, nur noch Asche und diesen dünnen, grauen Rauch. Er fluchte lauthals. Da war er den ganzen Weg bis Kaddeberg gefahren, um Würstchen zu besorgen, und nun gab es weder Flammen noch Glut, um sie zu braten! Was sollte denn das? Niemand antwortete. Er brach in Gelächter aus. Die Feuerwehrleute sahen ihn an, dann drehten sie sich um und taten so, als hätten sie noch irgendwelche Arbeiten zu verrichten. Helga zog die Strickjacke enger um sich.
»Dann müssen wir sie eben kalt essen«, erklärte der Junge, offensichtlich wütend. »Was sagt ihr dazu? Kalte Würstchen!« Er sprang von der Mauer und ging von einem zum anderen, um ihnen rohe, kalte Würstchen anzubieten, direkt aus der Packung.
IV
Es geschah im Spätsommer 1998. Ich war seit Juni zu Hause und hatte gesehen, wie es ihm allmählich schlechter ging. Die Augen wurden größer, und obwohl ich sicher war, dass sie in diesem abgemagerten Gesicht unmöglich noch größer werden konnten, wurden sie noch ein bisschen größer. Ich hatte weder ihm noch Mutter von meinem Examen erzählt. Einige Tage nach der Nacht auf dem ›Erlöser‹-Friedhof war ich mit dem Zug aus Oslo nach Hause gekommen, und die ersten Abende hatte ich in meinem alten Zimmer gelegen und auf Geräusche aus dem Schlafzimmer meiner Eltern gehorcht. Mein Vater lag dort jetzt allein, Mutter hatte sich das Sofa im Wohnzimmer hergerichtet. Er schlief so unruhig und hatte ständig Schmerzen. Ich hörte ihn vor sich hin murmeln, verstand aber nicht, was er sagte. Ich lag in den hellen Sommernächten wach, außerstande, irgendetwas zu unternehmen. Ich hatte keinen Kontakt zu meinen alten Klassenkameraden aus dem Ort. Ich war ihnen entwachsen, und sie waren mir sicher auch entwachsen. Ich hatte nichts, abgesehen von den Büchern, die ich zu Hause gelassen hatte, als ich damals auszog. Lange lag ich in der Dämmerung und blätterte in den Büchern, die ich einst mit einer so unverständlichen Gier gelesen hatte. Ich las ein bisschen in Mikkjel Fønhus’ Der Troll-Elch und fing noch einmal mit Gulbranssens Björndal -Trilogie an, las und blätterte, um die Stellen zu finden, die damals mit dreizehn die Tränen hatten fließen lassen; aber ich fand sie nicht wieder, überhaupt wirkte die ganze Geschichte leer und sinnlos.
Weitere Kostenlose Bücher