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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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Ich lag im Bett und las, aber ich konnte mich lediglich einige Minuten konzentrieren, dann schweiften die Gedanken ab und suchten sich ihre eigenen Wege.
    Eines Abends nahm ich mein Kollegheft, riss sämtliche Seiten mit Notizen heraus, und fing an zu schreiben. Ich erinnerte mich an die Worte, die Ruth mir damals, vor langer Zeit, eingepflanzt hatte, als sie mich im Klassenraum zurückhielt. Ich hatte sie nicht vergessen, und nun versuchte ich es. Ich schrieb eine Seite, zwei. Riss das Blatt heraus und legte mich hin, um zu schlafen. Am nächsten Tag las ich es und schämte mich. Es war eine durch und durch tiefschwarze Scham. Doch am Abend hatte ich die Studienkladde wieder auf den Knien und schrieb. Ich erinnere mich nicht mehr, wovon der Text handelte oder ob es überhaupt eine Handlung gab. Ich schrieb einfach. Es gab mir auf eine merkwürdige und fremde Art ein gutes Gefühl, als würde es mich im Grunde genommen nicht betreffen. Ich schrieb den Sommer über. Vater ging es allerdings immer schlechter, und es wurde zu einer gewissen Belastung, mit ihm in einem Haus zu wohnen. Abends nahm ich normalerweise sein Auto, den alten Pick-up, und fuhr lange umher. Auf diesen Fahrten hatte ich mein Heft dabei, hin und wieder hielt ich, um zu schreiben. Ich fuhr nach Brandsvoll, bog an dem alten Laden links ab und fuhr am Haus von Else und Alfred vorbei. Unterhalb des Hauses von Teresa ging es rechts ab zu dem ruhigen, weißen Haus, in dem ich nie Menschen sah und das einfach nur das Haus des Pyromanen genannt wurde. Danach kam ich zur Feuerwache und dem Haus in Sløgedal und fuhr weiter in Richtung Hønemyr. Ich bog auf den Platz vor der Kaserne, legte die Studienkladde aufs Lenkrad und schrieb.
    Im August ging es ihm so schlecht, dass Mutter ihn nicht mehr zu Hause pflegen konnte. Das Krankenbett hatte einige Wochen im Wohnzimmer gestanden, und als der Krankenwagen kam, um ihn abzuholen, war sie nicht zu Hause. Vermutlich war sie einkaufen, wie auch immer, als es an der Tür klingelte, waren nur er und ich zu Hause. Ich öffnete. Auf der Treppe standen zwei Männer in meinem Alter und sagten, sie wollten meinen Vater abholen. In genau diesem Augenblick wurde es mir zu viel. Ich erinnere mich nicht mehr genau, was passierte, nur, dass ich sie hereinließ und ihnen den Weg zeigte; dann ließ ich sie mit ihm im Wohnzimmer allein und ging in den Keller. Ich hörte, wie sie leise miteinander redeten, als würden sie einen Einbruch planen. Ich hörte Vaters ruhige Stimme und das kalte Knacken des Metallbetts, als sie es hochhoben, um das Untergestell zusammenzulegen. Ich hörte an den Geräuschen, dass sie ihn durch die Wohnungstür tragen wollten, aber sie war zu schmal. Mühsam mussten sie wieder zurück und das Bett auf dem Boden absetzen, um eine andere Lösung zu diskutieren. Die ganze Zeit stand ich in meinem Zimmer im Keller und starrte vor mich hin. Ich hielt es einfach nicht aus, dort oben zu sein, denn ich wusste ja, dass es das letzte Mal war. Ich wusste, dass ich es nicht mit ansehen konnte, wie er aus dem Haus getragen wurde, und ich bildete mir ein, auch er wollte nicht, dass ich dabei zusah. Endlich, nach einigem Hin und Her, trugen sie ihn und das Bett durch die Verandatür, und als sie das Haus verlassen hatten, stieg ich langsam die Treppe hinauf und sah noch, wie seine Beine im Krankenwagen verschwanden. Dann schlossen sie die Türen, setzten sich jeder auf eine Seite der Fahrerkabine und fuhren los. Und Vater hatte nichts aus dem Haus mitgenommen, in dem er seit Sommer 1976 gewohnt hatte, nicht einmal eine kleine Handvoll Asche.
    Das allerletzte Mal besuchte ich ihn Ende September 1998. Er hatte inzwischen ein eigenes Zimmer im Altenheim von Nodeland, wo ich zehn Jahre zuvor im Kinderchor vor all den Alten gestanden und gesungen hatte. Seit Mitte August war ich zurück in Oslo, ohne mein Studium wieder aufgenommen zu haben. Das Schreiben hatte ich ebenfalls aufgegeben. Die Tage vergingen damit, dass ich in der Bibliothek saß und las, ich saß dort, las und verschwand, und jeden Abend wurde ich von der Stimme geweckt, die erklärte, dass nun die Türen geschlossen würden.
    Dann, an einem Freitag Ende September, fuhr ich mit dem Zug nach Kristiansand, und tief in meinem Inneren wusste ich, dass ich ihn zum letzten Mal sehen würde. Mutter holte mich am Bahnhof ab, und am nächsten Tag fuhr ich mit seinem roten Pick-up allein ins Altenheim. Ich fuhr durch den Ort und hatte das Gefühl, als glotzten die

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