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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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endlich in Norwegens Hauptstadt angekommen und wollten sich vermutlich das Schloss ansehen. Das Schloss in Oslo ist sicher das Allergrößte gewesen, sowohl für meinen Vater wie für meine Großeltern, und sicherlich auch für Olga Dynestøl, die in ihrem ganzen Leben nie verreiste. Der Krieg war ja erst zwei Jahre vorbei, und sie wollten das Schloss und die schwarzgekleideten Gardisten sehen, die in der prallen Sonne standen, ohne einen Ton von sich zu geben. Danach gingen sie im Schlosspark spazieren, vorsichtig sind sie an der Künstlerwohnung vorbeigegangen, in der der große Dichter Øverland wohnte, und dann entdeckten sie die Löwen. Und was gab es Besseres, als sich auf dem Rücken eines zähnefletschenden Löwen fotografieren zu lassen?
    So hing das alles zusammen. Die Geschichte der langen Reise, das Foto von Vater und die Geschichte der Asche aus dem Schornstein von Dynestøl. Die Geschichten verflechten sich und haben alle einen Zusammenhang mit der Geschichte der Brände. Es war die Asche aus dem Schornstein, der in der Nacht des 3 . Juni 1978 schwarz und einsam stehenblieb, wie ein Baum, der seiner Äste beraubt wurde.
    Man sammelt einzelne Teile zusammen, auch Asche.

III
    Ich rief Kasper Kristiansen an, seine Frau Helga ging ans Telefon. Sie wusste durchaus, wer ich war, Kasper ohnehin, schließlich kannten mich beide seit meiner Geburt. Möglicherweise erinnerte Kaspar sich auch daran, dass ich damals mit Vater an der Elchjagd teilgenommen hatte, bei der Kasper das blutige Herz in der Hand hielt.
    Ich brauchte lange, um zu erklären, was ich wollte. Dass ich über das Haus schrieb, das sie vor über dreißig Jahren in der Nacht vom 2. auf den 3 . Juni verloren hatten. Und dass ich mich freuen würde, wenn sie mir von damals erzählten. Ich wusste ja nicht, was sie heute darüber dachten. Ob sie überhaupt darüber reden wollten oder ob es noch immer zu schmerzhaft war.
    Die Antwort lautete jedoch ja.
    Sie empfingen mich bereits am nächsten Abend.
    Wir unterhielten uns lange. Nicht nur über die Brände, auch andere Geschichten tauchten auf und verwoben sich, bis das Gespräch sich zu einem Bild erweiterte, das immer größer und größer wurd e – und schließlich war es nahezu unmöglich, ein Ende zu finden. Ich hatte das Gefühl, als käme ich mit etwas längst Verlorenem in Berührung. Etwas, mit dem ich eng verbunden war, wovon ich aber nicht mehr viel wusste. Wir redeten über meine Großeltern, die sie beide gekannt hatten, über Urgroßvater Sigvald, der auf dem Dachboden in Heivollen Fell gerbte, und über meinen sanften Ururgroßvater Jens.
    Doch ich war gekommen, um mir vom Brand in Dynestøl erzählen zu lassen.
    Kurz nach ein Uhr klingelte in der Nacht zum 3 . Juni 1978 bei Helga und Kasper das Telefon. Damals wohnten sie in Nodeland. Einige Monate zuvor hatten sie Olga das Haus in Dynestøl abgekauft und gerade begonnen, es instand zu setzen. Unter anderem hatte Kasper für das ganze Haus neue Doppelfenster gekauft. Sie waren aber noch nicht eingesetzt, sondern lehnten draußen an der Hauswand. Außerdem stand Kaspers Trecker, ein Fiat, auf dem Hof zwischen Wohnhaus und Scheune.
    Helga nahm das Telefon ab. Am anderen Ende der Leitung hörte sie eine Stimme, die sie kannte. Es war Olga Dynestøl. Sie klang weit entfernt und verängstigt, als würde sie aus einer anderen Welt anrufen. Olga bekam nur zwei Worte heraus: Dynestøl brennt .
    Dann beruhigte sie sich ein wenig und berichtete, dass sie den Feuerwehrwagen gehört und gesehen habe. Sie sei auf den Hof vor ihrem Haus in Løbakke gelaufen. Dort habe sie zuerst den brennenden Schuppen von Per Lauvsland gesehen, der ja gleich neben der Weide stand, dann das wogende Flammenmeer über dem Homevannet. Da habe sie begriffen. Kurz darauf gab es vier heftige Explosionen. Es vergingen mehrere Minuten zwischen den einzelnen Schlägen, und jede dieser Explosionen brachte das Flammenmeer zum Kochen. Sie stand allein auf dem Hof und begriff, dass ihr altes Haus in Dynestøl brannte. Das Haus, in dem sie vor dreiundsiebzig Jahren zur Welt gekommen war, ein Jahr später ihr Bruder Kristen, und aus dem man beide Eltern mit den Füßen zuerst herausgetragen hatte. Sie sah das Flammenmeer über dem Himmel, während sie etwas Gebetsähnliches vor sich hin murmelte. Jedenfalls bewegten sich ihre Lippen. Dann drehte sie sich um und ging ins Haus. Sie hatte mit niemandem geredet, bevor sie Helga und Kasper anrief. Niemand kam und erzählte ihr, was

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