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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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sagte nichts, er sah sie einfach nur an, mit herabhängenden Händen. Sie tat auch nichts. Sie sah seinen langen, lebendigen Schatten, der sich beinahe bis zu ihren Füßen erstreckte. Auch sein Schatten wollte sich gern losreißen, eins werden mit der Dunkelheit und ihn allein zurücklassen. Der Wind des Feuers war jetzt so stark, dass sein Hemd flatterte. Ein Feuersturm baute sich auf, als hätte er all die Jahre in der Scheune gelegen und nur darauf gewartet, endlich freigelassen zu werden. Alles wurde losgelassen. Und sie versank. In gewisser Weise war es gut. Einen Moment lang sah sie vor sich, wie er Feuer fing, erst das Hemd, dann die Haare, dann seine ganze Gestalt. Er flammte auf, stand vor ihr und verbrannte, ohne eine Miene zu verziehen. Sie hörte das Geräusch von zerplatzenden Dachziegeln, die wie schwere, schlappe Vögel auf den Boden fielen. Ein Funkenschwarm riss sich aus den Flammen und stieg rasch in den Himmel, der jetzt hell erleuchtet war. Ein hoher, singender Ton kam irgendwo aus der Scheune. Nie hatte sie etwas Ähnliches gehört, es klang wie ein Wimmern, wie eine Erinnerung an ein Lied, oder ein Lied, das sich wie Wimmern anhörte. Sie sah, dass er lächelte, und nur sie konnte in dieser Welt dieses Lächeln empfangen. Dann drehte sie sich um und ging den kurzen Weg nach Hause.

5.

I
    D as erste Eis auf dem Livannet. Eines Morgens ist es plötzlich da. Sonnenaufgang um 09:22. Ein Funkeln über dem schwarzen glänzenden Wasser. Am Vormittag ein heller Riss im Eis, der sich von der Mitte bis fast ans Land erstreckt. Vögel landen. Aus der Entfernung sind sie ganz schwarz, beinahe unmöglich voneinander zu unterscheiden, sie nähern sich vorsichtig dem offenen Wasser, bleiben einen Moment zweifelnd stehen, die Grenze ist nicht eindeutig, dann bricht das Eis unter ihnen.
    Am selben Nachmittag fuhr ich zur Kirche von Finsland.
    Innen war es vollkommen finster, ich musste mich vortasten, fand schließlich eine Türklinke, dann kam ich in einen Flur, in dem es Licht gab. Am einen Ende lag das Büro des Pastors, am anderen Ende befand sich die Tür, die in den Kirchenraum führte. Die Tür war niedrig und knarrte, als ich sie öffnete. Ich kam direkt hinter der Altartafel heraus. Ganz oben stand irgendetwas Unleserliches. Ich blieb vor dem Altar stehen und blickte über das Kirchenschiff. Es war etwas kleiner, als ich es in Erinnerung hatte, aber viel verändert hatte sich offenbar nicht. Es war ziemlich kalt. Man hatte mir gesagt, ich sollte direkt nach einem Gottesdienst oder einem Begräbnis kommen, weil sich dann die Wärme noch eine Weile halten würde. Ich ging auf dem weichen Teppich langsam den Mittelgang hinunter, und als ich an die Tür kam, drehte ich mich um und ging zurück. Dann setzte ich mich in eine der Bankreihen. Ich erkannte das trockene Knarren wieder, das ich zum ersten Mal als Kind gehört hatte, und diesen Geruch von Holz, Alter und Trauer. Ich blieb lange sitzen. Ich sah das Loch im Deckengewölbe über mir, wo damals das alte Ofenrohr nach draußen verschwand. Ich sah hinauf zu den vier Balken, die hoch oben im Dachgebälk ein Viereck bildeten, und erinnerte mich an die Vorstellung, dass alle Toten dort oben saßen und die Beine baumeln ließen, während sie dem Pastor zuhörten. Das war kurz nach Großvaters Tod. Ich brauchte ihn noch und wollte ihn bei mir haben. Er sollte dort oben sitzen und die Beine baumeln lassen. Auch während des Gebets.
    Vielleicht zehn Minuten saß ich in der Bank. Dann stand ich auf und ging über den Mittelgang in die Vorhalle. Die Treppe zum Turm lag auf der linken Seite. Eine einzige Birne brannte auf dem ersten Absatz, dann wurde es immer dunkler, je höher ich stieg. Die Treppe wurde schmaler, zuletzt handelte es sich nur um eine steile Leiter. Schließlich stand ich an der Spitze. Die schwarze Glocke hing über mir in der Dunkelheit, schwarz und schwer. Ich klopfte sachte mit dem Knöchel daran. Der Ton war derselbe. Tief und gleichzeitig hell und frei. Ich kannte ihn von den vielen Gelegenheiten, an denen ich die Glocke hatte schlagen hören. Als Großmutter starb, und Vater, und Großvater, und von dem Junitag mit den neun Schlägen, an dem ich in Mutters Arm lag und ihren kleinen Finger im Mund hatte.
    Ich stieg vom Kirchturm und ging auf die Balustrade, wo die Orgel stand. Ich hatte nicht erwartet, dass es das alte Harmonium noch gab, aber so war es. Es stand rechts an der Nordwand. Ich setzte mich. Trat die Pedale, probierte eine

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