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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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entdeckt hat, oder ob jemand zu mir gesagt hat, jetzt hör aber auf, jetzt ist aber Schluss, jetzt nimmst du dich gefälligst zusammen, kletterst von der Reling und kommst wieder zurück ins Warme.
    Ich weiß es nicht.
    Ich saß bestimmt über eine Stunde auf diesem öden Parkplatz, bis ich mich imstande fühlte, aufrecht zu gehen. Dann öffnete ich die Wagentür, zog meine Jacke an und ging hinunter zum Kai. Es war ein unangenehm kalter Morgen, nebliger Dunst hing silbergrau über dem Hafen, und am Kai schimmerte das Wasser ruhig und glänzend wie Öl. Ich ging in der Meeresbrise spazieren, bis ich mich ein wenig klarer fühlte. Dann bestellte ich im Hirtshals Kro eine Tasse Kaffee. Der Wirt stutzte, als er mich sah, und als ich kurz darauf in der engen Toilette stand, wusste ich auch warum. Meine Augen waren rot und geschwollen wie bei einem Tier, und am Hals klebte in langen Streifen geronnenes Blut. Ich wusch mich lange und sorgfältig. Am Waschbecken lag ein trockenes, rissiges Stück Seife, das ich versuchte zum Schäumen zu bringen, damit schrubbte ich das ganze Gesicht, obwohl es wehtat. Als die dampfende Tasse vor mir stand, konnte ich fast nicht daraus trinken, denn die Wunden im Mund sprangen sofort wieder auf, und der Kaffee schmeckte nach Rost. Ich saß allein in einer Ecke, außer mir saßen noch drei, wie ich vermutete, örtliche Alkoholiker an der Bar und passten auf ihr Glas Bier auf.
    Den Rest dieses Vormittags in Hirtshals habe ich als ziemlich grau und sinnlos in Erinnerung. Ich ging zum Fährterminal und kaufte eine Fahrkarte für die nächste Rückfahrt. Danach setzte ich mich ins Auto und durchwühlte das Handschuhfach. Als einziges Papier gab es einen Haufen Lottoscheine, die Vater nicht ausgefüllt hatte, aber sie reichten mir. Ich fand auch mehrere Kugelschreiber, von denen einer glücklicherweise funktionierte, und als ich dort auf dem grauen und vollkommen öden Parkplatz in Hirtshals saß, schrieb ich:
    Der Himmel, der sich öffnet. Die Kühe stehen am Waldrand und schauen auf das Haus. Die Wolken treiben. Ich sehe aus dem Fenster. Ich sitze am offenen Fenster und sehe, wie der Wind die schweren Äste der alten Esche bewegt. Ich schreibe. Die Wolken, die Äste, die Hand, die schreibt.
    Bis zum Äußersten.
    Der Geruch von süßem Torfmull schlägt mir ins Gesicht. Die Kühe verschwinden im Wald. Eine schwarze Prozession ins Schwarze. Eine nach der anderen. Verschwindet. Eine nach der anderen. Ich friere. Der Wind wogt in den glitzernden Kronen. Eine lose Fensterscheibe klirrt auf den Boden. Vom See kommen weiße tanzende Körper und himmlische Musik.
    Ich blieb sitzen und las das Geschriebene noch einmal, korrigierte und stellte hier und da ein bisschen um, aber der Text blieb im Großen und Ganzen so stehen, wie er gekommen war. Er fand Platz auf der Rückseite von fünf Lottoscheinen, die Vater nie ausgefüllt hatte. Es war das erste Mal, das ich etwas von mir Geschriebenes las, ohne mich dafür zu schämen. Es war ein etwas unwirkliches, beinahe luftiges Gefühl. Unwirklich, aber sehr schön. Ich machte noch einen Spaziergang im Hafen, wobei mein Kopf sich noch immer anfühlte wie ein schmerzender, klopfender Klumpen. Alles war noch immer grau und sinnlos, das Wasser im Hafenbecken war so zäh und glatt wie zuvor, noch immer schwamm Abfall neben den Bootsrümpfen, und wie zuvor hing weicher silbergrauer Dunst über dem Hafen. Trotzdem war etwas passiert. Ich dachte an die Zeilen, die ich geschrieben hatte. Die nun auf den Lottoscheinen standen und die ich noch einmal lesen wollte, sobald ich zum Auto zurückkam. Ich ging spazieren und sah all das Grau um mich herum, während mir Seeluft und Dieselgeruch in die Nase stiegen, aber irgendetwas hatte sich doch verändert. Und man sah es mir an. Ich bildete mir ein, dass man es mir am Funkeln meiner Augen hätte ansehen können, wenn jemand gekommen wäre und mich nach der Uhrzeit gefragt hätte.
    Um drei setzte ich mich ins Auto, ließ den Wagen an und fuhr zum Fährterminal. Ich stellte mich ganz vorn auf das Auffahrtsfeld, wartete auf die Fähre und wollte noch mehr schreiben. Ich las, was ich bereits zu Papier gebracht hatte, und versuchte mich an ein paar weiteren Zeilen. Eine Stunde später kam die Fähre in Sicht, da hatte ich bestimmt zehn Lottoscheine vollgeschrieben. Nachdem ich an Bord gefahren war, suchte ich mir einen Platz, an dem ich allein blieb, legte die Lottoscheine vor mir aus und las alles noch einmal. Ich spürte das

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