Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
erwiderte sie.
»Hast du Zahlen?«
Linnea stand ebenfalls auf und schüttelte den Kopf.
»Das erfordert eine genauere Untersuchung. Vieles kann ich bei dieser ersten Leichenschau noch nicht erkennen. Aber ich würde von gut zwanzig Schnitt-, Stich- und Schlagverletzungen ausgehen. Und wenn du einen ersten Ansatzpunkt brauchst, würde ich darauf tippen, dass der Mord mit einem Küchenmesser oder einer ähnlich großen Waffe begangen wurde, und zwar mit extremer Konzentration. Diese Tat setzt eine ungewöhnliche Kraft und Kaltblütigkeit voraus.«
Thor nickte, noch immer außerstande, seinen Blick von dem misshandelten Toten abzuwenden.
»Im Übrigen konnte ich keinerlei Abwehrverletzungen feststellen, was eigentlich die Regel wäre, und das verstärkt den Verdacht auf einen extrem brutalen Überfall. Der Täter hat ihn offensichtlich überrascht und ihm innerhalb kürzester Zeit so viele Verletzungen zugefügt, dass er durch den Blutverlust und den Schock nicht mehr in der Lage war, Widerstand zu leisten. Ob diese These stimmt, musst du allerdings feststellen, wenn du sie mit den Spuren vom Tatort verglichen hast.«
Er schaute auf die Uhr.
»Ich muss jetzt gehen«, sagte sie dann. »Wenn der Rechtsmediziner ankommt, wäre ich am liebsten schon über alle Berge.«
Thor beugte sich vor und gab ihr einen schnellen Kuss auf die Wange.
»Danke für die Hilfe.«
»Wollen wir uns nicht einfach darauf einigen, dass du mir einen riesigen Gefallen schuldest? Mit dieser Aktion riskiere ich einen Haufen Probleme.«
Er lächelte sie an.
»Aber für mich macht es einen Riesenunterschied. Dank dir können wir sofort mit den Ermittlungen beginnen. Und den Täter finden.«
Sie umarmte ihn kurz und drehte sich dann um.
»Das hoffe ich.«
»Sehen wir uns heute Abend?«
»Mal schauen.«
*
Golf von Aden, 14 . November 2010
Warwick hatte genug gesehen und beschloss, zur Brücke zurückzukehren und Eskildsen wiederzufinden. In dem vor ihm liegenden Gang standen mehrere Türen offen, und er warf einen flüchtigen Blick in einige Kajüten, ehe er seinen Weg zu der Treppe fortsetzte, die nach oben führte. Hier gab es für ihn nichts mehr zu holen. Offensichtlich hatten sich die Piraten hier aufgehalten, wenn sie gerade nicht Wache hielten, denn alles war demoliert und verschmutzt, als hätten sie sich pausenlos geprügelt.
Etwas weiter entfernt waren Schritte zu hören.
»Ich bin jetzt fertig«, sagte Warwick.
Er rechnete damit, dass der Kapitän auf der Treppe erscheinen würde, doch es war niemand zu sehen. Dann begriff er, dass irgendetwas an dem Geräusch verdächtig war. Er wurde etwas langsamer, ging aber weiter geradeaus. Noch zwei Schritte, diesmal zögerlicher. Dann ertönte ein lauter Schlag, und eine Kajütentür flog auf.
Vor ihm stand ein Mann in einer zerschlissenen Armeejacke. Warwick starrte ihn an. Es war kein Teenager wie die anderen Piraten oben an Deck, sondern ein erwachsener Mann mit einem ungepflegten Bart und einem sehnigen, muskulösen Oberkörper. Er musste sich während der ersten Durchsuchung des Schiffs versteckt haben und hielt ein Messer in der Hand. Warwick spürte einen Anflug von Panik und versuchte auszuweichen, doch der Mann stürzte sich bereits auf ihn, den Arm halb ausgestreckt, das Messer im 45 -Grad-Winkel erhoben.
Blitzschnell sprang Warwick zur Seite, trat in derselben Bewegung mit dem rechten Bein nach dem Angreifer und warf den Oberkörper nach unten, um aus dem Radius des Messers zu gelangen. Von jetzt an war alles, was er tat, reiner Reflex, der keine Zeit für Panik oder Überlegungen ließ. Sein Fuß rammte den mageren Mann im Solarplexus und stoppte dessen Bewegung für den Bruchteil einer Sekunde, was Warwick einen Folgeangriff erlaubte, bei dem er dem anderen in die Kniekehlen trat. Der Pirat sackte zusammen und schrie vor Schmerz, als Warwick mit der rechten Hand seinen Spann packte, ihn mit einer linken Geraden direkt am Kinn traf und anschließend sofort seine Finger in die Handfläche des Gegners bohrte.
Dann bedurfte es nur noch einer geschickten Drehung, um dem Piraten das Messer zu entwenden.
Danach erfassten Warwick eine plötzliche Übelkeit und Müdigkeit. Er beugte sich vornüber und blieb einen Augenblick stehen, während er nach Luft rang. In seinem Kopf drehte es sich, und der kalte Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er atmete tief ein und versuchte, die Kontrolle über seinen Körper zu erlangen, als er erneut Schritte hörte. Diesmal war es
Weitere Kostenlose Bücher