Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
sowieso nicht leisten, noch mehr zu essen.«
Er erklärte, dass sie gerade rund um die Uhr arbeiteten, um die große Entwicklungshilfekonferenz FutureAid zu organisieren, die in eineinhalb Wochen im Bella Center stattfinden sollte. Während sie über den Flur gingen, kamen sie an einem Kopierer und einer Teeküche vorbei, ehe sie sein Büro am anderen Ende des Gangs erreichten. Es lag zwar ein wenig vom Rest der Abteilung entfernt, hob sich jedoch mit seinen Glaswänden und leichten Möbeln bewusst von einem altmodischen, verschlossenen Führungsstil ab. Auch in den anderen Büros, an denen sie vorbeigekommen waren, hatte eine merkwürdige Stille geherrscht, aber Gunnerus kommentierte die gedrückte Stimmung nicht weiter.
»Jetzt erzählt mal. Ist was mit Anisa?«, fragte er schließlich, nachdem sie sich hingesetzt hatten.
»Wir fahnden nach ihr, als möglicher Zeugin eines schweren Verbrechens. Sie könnte unter Schock stehen. Und wir fürchten, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte.«
Gunnerus runzelte die Stirn.
»Sie müssen entschuldigen, dass ich am Telefon so wortkarg war.«
Jetzt blickte er Thor an, und Linnea war es sehr recht, dass Gunnerus sie ignorierte. Sie hatte vor, sich aus dem Staub zu machen, sobald das Eis zwischen den beiden gebrochen war.
»Ich würde behaupten, dass ich sie besser kenne als die meisten anderen, obwohl ich nicht genau weiß, wie viel das bedeutet. Anisa ist ein sehr zurückhaltender Mensch. Was unternehmen Sie, um sie zu finden?«
»Kein Grund zur Entschuldigung. Aber wie ich bereits am Telefon sagte, wurde Anisa Dini Farah vorgestern am Tatort eines sehr brutalen Mordes aufgefunden. Ihre Kleidung war blutbefleckt, und sie stand unter Schock. Ich zweifle daran, dass wir sie ohne fremde Hilfe finden werden. Vielleicht hält sie sich auch versteckt. Aus Angst.«
Gunnerus schwieg einen Moment.
»Ich habe schon mehrmals versucht, Anisa zu erreichen. Sie ist seit vorgestern nicht mehr zur Arbeit erschienen und hat sich auch nicht krankgemeldet. Das ist sehr ungewöhnlich. Sie ist äußerst pflichtbewusst. Sollte sie weiter verschwunden bleiben, dann fahre ich heute zu ihr nach Hause.«
»Und Sie haben keine Ahnung, was sie in dieser Badeanstalt zu suchen hatte?«
Gunnerus schüttelte den Kopf.
»Ich bezweifle jedenfalls, dass sie eine Eisbaderin ist.«
Er erlaubte sich ein kurzes Lächeln, das jedoch eher wie eine angestrengte Grimasse wirkte.
»Sie hat den Täter gesehen«, sagte Thor. »Ich glaube, sie wäre in der Lage, ihn zu identifizieren. Das Problem ist nur, dass es wohl auch umgekehrt so ist. Sie ist unsere wichtigste Zeugin, aber der Täter könnte sie ebenfalls gesehen haben. Und falls er weiß, dass sie alles beobachtet hat, ist sie in Gefahr. Wenn wir sie nicht finden oder sie sich freiwillig meldet, gerät sie vielleicht in seine Fänge. Sie müssen verstehen, dass wir dieser Sache vor allem zu ihrer eigenen Sicherheit höchste Priorität geben.«
Gunnerus nickte ernst.
»Wenn ich irgendwie behilflich sein kann …«
10
I ch stolpere durch den schmutzigen Bambusvorhang hinein, finde mein Gleichgewicht jedoch schnell wieder und sichere mir einen Platz in den letzten Reihen. Meine Nebenmänner lassen den Prediger nicht aus den Augen.
Hier bin ich unsichtbar.
Ich sitze am vorderen Rand des Klappstuhls, bereit, jederzeit weiterzulaufen, muss mich nur etwas ausruhen und Luft holen. Muss all meine Energie darauf verwenden, ruhig zu atmen, wie normale Menschen es tun.
»And Christ did not enter a sanctuary made by human hands …«
Das Haus ist voll. Meine afrikanischen Brüder und Schwestern murmeln im Chor mit dem Prediger, der inmitten des Kreises der Anwesenden steht. Ich sehe zu ihm auf, aber er beachtet mich nicht. Der Melanintisch zur Linken ist mit gebrauchten Plastikbechern übersät, und die schmalen Fenster am Ende des Raums sind bereits beschlagen.
»… a mere copy of the true one, but He entered into Heaven itself, now to appear in the presence of God on our behalf.«
Der Raum ist dunkel und feucht, ein schwerer Duft von Weihrauch mischt sich mit dem Geruch von stechendem Schweiß und billigem Parfüm. Ich spüre meine Füße nicht mehr, aber die Finger schmerzen, jetzt, wo die Wärme langsam meinen Körper erreicht. Ich ziehe den Pullover aus. Versuche, die Worte in mich aufzunehmen, brauche dringend Trost und Kraft, um einen klaren Gedanken zu fassen. Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich wieder hinaus muss, in den Schnee, die
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