Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
konnte, wenn man ein bisschen zusätzliche Stimulanz brauchte. Früher hatte man von hier aus freien Blick auf den Obduktionssaal gehabt, aber nachdem die Journalisten mit Teleobjektiven und Richtmikrofonen ausgerüstet auf dem Parkplatz und in den gegenüberliegenden Häusern angerückt waren, wurde angeordnet, die Fenster und auch die Fensterläden immer geschlossen zu halten.
»Du bist sicher, dass du nicht weitermachen willst, jetzt, wo du schon mal angefangen hast?«
Linnea nickte dem Assistenten abweisend zu, der soeben die Stahlbahre unter die Lüftung gerollt und sie so befestigt hatte, dass sie mit der Abflussrinne abschloss. Anscheinend passte es ihm nicht, dass sie ihn am heiligen Samstag in Beschlag nahm.
»Danke, aber ich werde meine Leidenschaft schon zu bändigen wissen.«
Sie schauderte noch immer vor Kälte, obwohl es in dem dauergekühlten Obduktionsgang wärmer war als draußen im Frost. Zum Glück war der große Obduktionssaal des Rechtsmedizinischen Instituts frei gewesen. In ihrem eigenen osteologischen Labor in der Abteilung für Forensische Anthropologie gab es weder eine Lüftung noch waren die übrigen Voraussetzungen für die Untersuchung von Leichen erfüllt, und dies war der größte Raum, der für Obduktionen zur Verfügung stand. Die Abteilung für Forensische Anthropologie war Teil des Rechtsmedizinischen Instituts, obwohl sie auf der anderen Seite des Panum-Instituts lag. Hier befand sich Linneas Büro, und hier arbeitete sie meistens, aber da es einen Tunnel unter dem Tagensvej gab, der das Panum mit dem Rigshospital verband, hatte sie innerhalb von fünf Minuten Zugang zu allen Einrichtungen des Instituts.
Sie hörte die Clogs des Assistenten über den Gang klappern und drehte sich um. Hier wurden die großen Mordfälle untersucht, so dass ausreichend Platz vorhanden war. Sie konnten leicht auf zehn bis zwölf Leute kommen, wenn zwei Rechtsmediziner und ein Assistent die Obduktion durchführten – im Beisein von Polizisten, Kriminaltechnikern und vielleicht sogar dem Leiter der Abteilung für Personengefährdende Kriminalität, wenn es sich um einen wichtigen Fall handelte. Aber in diesem Moment waren nur sie und die drei Leichen, die man für sie herbeigerollt hatte, im Raum.
»Bente Hultin, Ansgar Toftegaard und Martin Svendsen«, las sie.
An den Stahlbahren waren drei Leichenpässe befestigt. Sie waren nur mit den nötigsten Angaben ausgefüllt worden, vermutlich von irgendeinem Botschaftsangestellten. Sie enthielten lediglich die Namen der Toten und die Flugrouten von Somalia nach Kopenhagen. Die Todesursache lautete lakonisch »Gewaltanwendung mit Todesfolge, beigefügt mit einem scharfen Instrument in Verbindung mit einem Raubüberfall«, als Todesdatum war der 18 . Januar angegeben.
Linnea schaltete als Erstes die Lüftung ein. Entweder stimmte der Todeszeitpunkt nicht mit der Wirklichkeit überein, oder die Toten waren alles andere als ordnungsgemäß aufbewahrt worden, wenn sie im Laufe so kurzer Zeit diesen Zustand erlangt hatten. Sie bereute es, dass sie sich keine richtige Schürze angezogen hatte, sondern lediglich einen Einwegoverall mit Plastikverstärkung. Aber sie hatte keine Lust, sich noch einmal umzuziehen, und so trat sie stattdessen zur ersten Leiche, um mit der Arbeit zu beginnen. Ihr Plan war, zunächst die Verletzungen zu untersuchen, die sie schon bei der ersten oberflächlichen Untersuchung entdeckt hatte. Es gab viel zu tun, denn alle drei wiesen eine große Zahl von Stichverletzungen am ganzen Körper auf. Doch schon nach einem kurzen Moment hielt sie inne.
Die Leiche von Hultin lag auf dem Rücken, doch die Beine waren seitlich angewinkelt, so dass ihr an beiden Fersen zwei charakteristische Verletzungen ins Auge stachen. Linnea beugte sich hinunter, um sie besser betrachten zu können. Erst konnte sie nicht glauben, was sie sah, doch allmählich begriff sie es. Sie untersuchte die Einschnitte gründlicher, wusste jedoch schon, was sie finden würde.
Genau wie erwartet waren die Achillessehnen durchtrennt worden, und ihr wurde fast schwindelig, weil sie der Anblick direkt an einen Vormittag in Ruanda vor fast fünfzehn Jahren zurückversetzte.
Konnte es wirklich dasselbe sein, was sie hier sah?
16
U nd das kann der Abschirmdienst einfach so machen?«
Thor sah Vogler verwundert an.
»Ja, die können machen, was sie wollen. Aber ich glaube, sie versuchen damit irgendetwas zu vertuschen.«
»Und was?«
Vogler schwieg einen Moment, weil
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