Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
er einen Blick auf seine Uhr und rief erneut in London an.
»Es gibt kein Schiff, das Proserpine heißt«, sagte Morgan sofort. »Denn ich gehe davon aus, dass du weder an die HMS Proserpine denkst noch an die USS Proserpine? Das sind zwei Marinefahrzeuge, die in den Jahren 1919 und 1960 ausrangiert wurden.«
»Ich habe aber nur einen Hinweis auf ein Frachtschiff namens Proserpine.«
»Wie gesagt, da gibt es nichts, aber dafür habe ich etwas anderes gefunden, was dich vielleicht interessieren könnte.«
»Schieß los.«
Und Morgan begann zu erzählen. Warwick hatte ihn nicht mehr so gesprächig erlebt, seit ihnen in Cambridge einmal eine Flasche Laphroaig in die Hände gefallen war, die sie zusammen geleert hatten – woraufhin sie beide ununterbrochen geredet hatten, bis sie sich hatten übergeben müssen. Als sein alter Freund seinen Bericht einige Minuten später beendet hatte, blieb Warwick noch eine Weile mit dem Telefon in der Hand sitzen. Diese Verbindung war gelinde gesagt überraschend, und er konnte die Konsequenzen nicht ganz überschauen. Zuallererst musste er im Kastellet anrufen, damit sie sofort mit der Arbeit anfingen. Und dann musste er selbst so schnell wie möglich nach Kopenhagen zurückfliegen.
Einer Sache war Warwick sich jedoch sicher: dass er soeben dem Grund dafür auf die Spur gekommen war, warum die drei Entwicklungshelfer zum Schweigen gebracht hatten werden müssen.
15
Z wei Bohemia Regent, bitte.«
Der Barkeeper nickte und öffnete den Hahn mit dem selbstimportierten tschechischen Hausbier, während Thor sich an den Fenstertisch setzte, wo er bereits seine Jacke abgelegt hatte. Der Vorschlag, sich im Café Svejk in der Smallegade zu treffen, war von Asbjørn Vogler gekommen und passte Thor ausgezeichnet. Es lag nicht weit von seinem Zuhause entfernt und war selten überfüllt, so dass man an einem Samstagnachmittag nicht mit neugierigen Zuhörern rechnen musste. Außerdem konnte man sich ausgezeichnet an dem kalten Bier wärmen, wenn man am Fenster saß und auf den Schneeregen hinaussah. Auf dem kurzen Weg vom Fredriksberg Rådhus bis hierher war Thors Jacke von einer unerwarteten Böe komplett durchnässt worden.
»Anschließend solltest du ein Vleve probieren, wir haben noch drei Fässer.«
Thor nickte zerstreut, als ihm der Barkeeper mit den Hundeaugen, der mit seinen langen Haaren eher wie ein Rocksänger aussah, das Bier brachte. Seine Gedanken waren längst an einem anderen Ort und kreisten um die Wetterverhältnisse in Virginia, und darum, ob sie erträglicher waren als der nasskalte dänische Winter. Die amerikanische Ostküste – dort musste es Herrschaftssitze im Kolonialstil geben, weitläufige Wälder und hohe Berge, Indianer und Sklaven … zumindest in früheren Zeiten. Schon im Herbst hatte er beim Polizeichef darum ersucht, an einem Führungsseminar der FBI National Academy in Virginia teilzunehmen, und der ansonsten ziemlich unzugängliche Lange hatte seinem Antrag überraschenderweise ohne Zögern stattgegeben. Er gab Thor lediglich den Rat, er solle aufpassen, dass sein kometenhafter Aufstieg nicht zu Problemen in der Zusammenarbeit mit den Kollegen führte. »Immerhin sind nicht alle der Meinung, dass Sie ein Gottesgeschenk für uns sind«, hatte er gesagt, ohne zu verraten, zu welcher Kategorie er selbst zählte. So oder so hätte er ab Neujahr an einem der angesehensten Polizeilehrgänge teilgenommen, mit den Schwerpunkten Kriminaltechnik, Führung, Medientraining, Psychologie und Umgang mit großen Kriminalfällen. Ein ideales Sprungbrett für weitere Beförderungen.
Allerdings war da noch die Sache mit Maja. Thor hatte mit seiner Ex Cathrine gesprochen, die sich entgegenkommend zeigte, aber drei Monate waren dennoch eine zu lange Zeit. Und somit war Thor schließlich stattdessen Anfang Dezember auf einem zweiwöchigen Kurs an der Deutschen Hochschule der Polizei gelandet, unter Kollegen immer noch als Polizei-Führungsakademie bekannt, damit er wenigstens einen Teil seiner genehmigten Weiterbildung in Anspruch nehmen konnte.
»Kennst du das Gefühl, wenn man mit Virginia und Pocahontas gerechnet hat und sich am Ende mit Nordrhein-Westfalen und Bockwurst zufriedengeben muss?«
Er blickte zu dem verdutzten Asbjørn Vogler auf, der seine erstaunlich trockene Winterjacke ablegte, und Thor beeilte sich, auffordernd auf die beiden Gläser zu zeigen und »Prost« zu sagen. Nachdem sie das Bier probiert hatten, wischten sie sich den Schaum von den
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