Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
glühten.
»Ich bin darüber doch genauso wütend wie du«, erwiderte Thor. »Es geht um deinen Vater. Und es geht um meinen Mordfall. Mikkel Spang-Hansen hatte irgendeine Verbindung zu Clermont-Tonnere, aber die Franzosen halten mit ihren Informationen so sehr hinterm Berg, dass sie nicht einmal darüber Auskunft geben, ob sie diesen dänischen Journalisten kennen. Aber ich kann dir erzählen, was ich weiß. Ganz hilflos sind wir also trotz allem nicht.«
Er ging zu seinem Schreibtisch und zog einen Aktenordner aus einem schwindelerregend hohen Stapel. Dann wandte er sich wieder dem Bildschirm zu und berichtete: »Adèle de Clermont-Tonnere ist ihr richtiger Name. Sie wurde 1963 in Carcassonne in Südfrankreich geboren, aber sie verwendet schon seit mehreren Jahren einen Tarnnamen. Europol und Interpol und einige mehr fahnden nach ihr. Sie wird des Terrorismus und Waffenhandels verdächtigt.«
»Was sollte mein Vater mit einer Terroristin zu tun haben?«
»Ich weiß nur, dass sie sich 1986 in Dänemark aufgehalten hat. Könnten sich die beiden dort kennengelernt haben?«
Linnea sah aus dem Fenster.
»Mein Vater hatte damals irgendeinen Job im Außenministerium, aber dort arbeitete er nicht besonders lange. Wir kamen gerade aus Indonesien, und im Jahr danach sind wir nach Seoul gezogen. 1986 ? In diesem Jahr habe ich in Hellerup die sechste Klasse besucht.«
25
I n der Dunkelheit sehe ich ihn vor mir. Mein Erlöser und mein Dämon. Und ich weiß, dass er mein Untergang sein wird, ganz gleich, wie weit und wie lange ich renne.
In der Dunkelheit zwischen den U-Bahn-Stationen Kopenhagens wird mein Inneres von blutigen Bildern attackiert, die nach Tod stinken. Ich bin verwirrt, kann keinen Zusammenhang mehr erkennen. Wenn er weg ist, gibt es niemanden mehr, vor dem ich flüchten muss, und niemanden, zu dem ich gehen kann. Wie kann es sein, dass ich ihn noch immer nach mir rufen höre?
Die Menschen, die mit gefüllten Einkaufstüten und müden Augen aus dem Zug steigen, sehen mich nicht mehr. Und wer bin ich auch ohne ihn? Ich sehne mich nach ihm, denn alles erscheint sicher und richtig, wenn er auf mich achtgibt, und dennoch flüchte ich. Vor ihm? Vor dem Bösen, das ihn begleitet? Jetzt wechseln die roten Buchstaben erneut und verkünden einen neuen Halt.
Zum dritten Mal nähere ich mich einer anderen Station und zögere noch immer. Ich werde angezogen und abgestoßen zugleich. Weiß immer noch nicht, ob ich diesmal vorbeifahre, oder ob ich den Mut finde, noch einmal seine Hilfe zu suchen.
Ich warte einen letzten Augenblick und springe aus dem Zug. Ich könnte immer weiter ziellos fliegen, im Kreis laufen und darauf warten, dass mich mein Körper nicht mehr trägt. Bis sie mich kriegen. Dann lieber er, der mich kennt. Der weiß, wer ich bin.
Ich bin Anisa.
26
D as war also, bevor überall auf der Welt nach Clermont-Tonnere gefahndet wurde«, erklärte Thor. »Und das Ganze fing in Dänemark an. Diesen Teil der Geschichte kennen wir, weil auch der PET involviert war. Damals gehörte sie zum eher sektiererischen und aktiven Teil der linken Bewegung, die mit Ideen vom bewaffneten Widerstand, Wucherstaaten und so weiter flirteten. Als sie Anfang zwanzig war, reiste sie anscheinend quer durch Europa und wohnte in verschiedenen politisch aktiven Kommunen, bis sie Anfang 1986 nach Kopenhagen kam. Hier wurde der PET sofort auf sie aufmerksam. Nicht, weil sie selbst auffällig war, sondern weil sie in die alternative Lumpensammler-Szene rund um das Café Rosa in Islands Brygge geriet, das von Mitgliedern der KA verwaltet wurde.«
»Von wem?«
Thor sah von seinen Papieren auf.
»Der Kommunistischen Arbeitsgruppe, die Verbindungen zur Blekingegade-Bande hatte und die der PET schon damals überwachte, wenn auch vergeblich. Dort lernte sie Muhammad Abda kennen und verliebte sich in ihn, und der PET begann sich ernsthaft für sie zu interessieren. Abda war nämlich im Büro der PLO im Alperosevej in Amager aktiv und vermutlich sogar Mitglied der palästinensischen Eliteeinheit Force 17 . Und bei einer gemeinsamen Reise mit Abda nach Israel wurde Clermont-Tonnere im Jahr 1986 schließlich auch von der israelischen Polizei verhaftet. Ein radikaler israelischer Likud-Politiker war bei einem Bombenattentat in Tel Aviv getötet worden, und der Mossad behauptete, Clermont-Tonnere hätte Geld für die Hintermänner eingeschmuggelt und bei der Organisation geholfen. Sie wurde am Ben-Gurion-Flughafen verhaftet und an
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