Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
Arrondissement.«
Linnea nahm ihre Mütze und ihren Schal.
»Das hatte ich eigentlich nicht vor.«
Thor sah sie fragend an, doch sie schüttelte nur den Kopf und versicherte ihm schnell, dass sie sich am späteren Abend sehen würden. Und dann ging sie auf den Flur hinaus und war in Gedanken schon ganz woanders – nämlich bei einer halben Mailadresse, die sie auf der Postkarte des Vaters entdeckt hatte und an die sie bereits geschrieben hatte. Wenn Thor ihr nicht helfen konnte, musste sie eben allein zurechtkommen.
Sie brauchte Gewissheit.
*
»Erwähne diese Person mir gegenüber nie wieder!«
Linnea holte tief Luft. Sie saß in ihrem Büro und klickte nervös zwischen den Browserfenstern ihres Macs hin und her. Eine schlechte Angewohnheit. Wenn ihr diplomatisches Geschick jemals gefordert war, dann jetzt. Sie zögerte einen Moment, ehe sie fortfuhr.
»Aber Mama, kannst du dich nicht erinnern, dass du mir von einer französischen Frau erzählt hast, die du mit Vater zusammen gesehen hast. Und die dir letztens wiederbegegnet ist?«
»Ich habe Hans Peter doch gesagt, dass ich ihren Namen in meinem Haus nicht mehr hören will. Was hat er dir nur eingeredet?«
Die Stimme ihrer Mutter war schrill, und Linnea hörte, dass sie vor Aufregung schon ganz kurzatmig war. Es war ein verzweifelter Versuch gewesen, in Frankreich anzurufen, und Linnea glaubte allmählich, dass sie die Sache nur noch schlimmer machte, wenn sie die Geliebte des Vaters erwähnte. Aber gleichzeitig war Lena-Maria Kirkegaard die einzige Verbindung, die sie zur Vergangenheit ihres Vaters hatte. Natürlich abgesehen von der mysteriösen Adèle selbst, die nur eine einzige winzige Spur hinterlassen hatte.
»Hat er dir auch die Version erzählt, er hätte sich in ein junges, unschuldiges Ding verliebt? Ha, in Wirklichkeit ist sie eine Schlange, der es egal ist, was sie alles kaputtmacht.«
»Heißt das etwa, du hast sie getroffen, Mama?«
Linnea wurde hellhörig, vielleicht war ihre Mutter doch nicht so verwirrt, wie sie gedacht hatte. Die Geschichte von einer fremden Frau schien ja zu stimmen, und vielleicht war die Mutter ihr wirklich erst kürzlich begegnet.
Die Mutter tat jedoch so, als hätte sie die Frage überhört, und brabbelte weiter vor sich hin.
»Wenn ich den Behörden erzählen würde, was ich über diesen kleinen Parasiten weiß, wäre er keine Sekunde länger auf freiem Fuß. Aber natürlich halte ich meinen Mund, ganz die gute Hausfrau. Hans Peter würde mir das nie verzeihen!«
Der letzte Satz klang wie ein Wimmern, und Linnea spürte einen Kloß im Hals. Es war wirklich eine schlechte Idee gewesen, sie darauf anzusprechen. Zu erleben, wie ihre Mutter zusammenbrach, hatte ihr gerade noch gefehlt, und ihr Zustand hatte sich im Laufe des Gesprächs nicht gerade gebessert. Vielleicht wusste sie tatsächlich etwas über Adèle de Clermont-Tonnere. Aber es hatte einfach keinen Zweck, sie weiter auszuhorchen. Verärgert wechselte Linnea das Thema, um die Mutter zu beruhigen, damit sie guten Gewissens wieder auflegen konnte. Die Mutter kam ihr allerdings zuvor.
»Linnea, meine Kleine, es ist gut, dass du angerufen hast. Du musst mir helfen. Ich glaube, sie will mich umbringen. Da ist sie. Jetzt kommt sie. Du musst herkommen und mich holen, du musst …«
Plötzlich war ihre Stimme weg, und es schepperte, als würden gerade mehrere Hände um den Hörer kämpfen. Eine Frau schimpfte Linneas Mutter auf Französisch aus, und Lena-Maria Kirkegaard schimpfte auf Schwedisch zurück, obwohl sie Linnea als Kind geschlagen hatte, wenn sie in die Sprache ihrer Mutter gefallen war. Linnea rief nach ihrer Mutter, aber erst nach einer Weile meldete sich an deren Stelle eine resolute französische Frauenstimme.
»Es tut mir sehr leid, ich hatte nicht bemerkt, dass sie sich das Telefon geschnappt hatte. Wenn ich hier bin, versuche ich immer, sie davon fernzuhalten, aber Madame Kirkegaard ist eben schlau.«
Die Frau stellte sich als Madame Bissot vor, eine Nachbarin, und als sie herausfand, wer Linnea war, klang sie geradezu erzürnt.
»Sie müssen wirklich herkommen und sich um Ihre Mutter kümmern. Sie ist nicht mehr dazu in der Lage, allein zu wohnen.«
Linnea bekam heiße Wangen und klickte zur Ablenkung auf ihrer Maus herum. Das Gespräch hatte sich anders entwickelt als geplant.
»Leider wohne ich ziemlich weit weg.«
Sie wusste genau, dass das keine akzeptable Entschuldigung war, doch als die hilfsbereite Nachbarin zu einem
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