Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
Bekanntenkreis wisse? Ob sie über einen Journalisten namens Spang-Hansen gesprochen habe? Aber auch in dieser Sache konnte er nicht weiterhelfen. Er kenne Anisa durch Christus, und das genüge ihm.
Sie verabschiedeten sich draußen auf der Griffenfeldsgade.
»Ich bin mir sicher, dass Sie Anisa finden werden«, sagte Musoni. »Und Sie sind jederzeit wieder willkommen, wenn Sie meinen, dass ich Ihnen bei irgendetwas behilflich sein kann.«
Anschließend ging er wieder in den Club zurück, während Thor und Kraus vor den großen eingeschlagenen Fenstern stehen blieben, die mit vergilbten Laken abgedunkelt waren. Auf dem Fensterbrett lagen tote Insekten, daneben stand eine vertrocknete Pflanze. Von außen sah der afrikanische Club aus wie ein ehemaliger Laden, aus jener Zeit, als in den Brückenvierteln noch an jener Ecke Molkereiprodukte verkauft wurden. Gegenüber lag ein somalisches Restaurant, das mittags noch geschlossen hatte, und keiner der vielen Passanten interessierte sich für die beiden Polizisten.
»Hat der etwa versucht, uns zu bekehren?«, fragte Thor. »Und warum habe ich bloß das Gefühl, dass er uns die ganze Zeit hinters Licht führen wollte?«
»Weil du insgeheim ein alter Rassist bist, der nicht an afrikanische Priester und Spiritualität glaubt? Nein, bestimmt lag es daran, dass er gar nicht neugierig war. Dass er sich gar nicht erkundigt hat, ob Anisa etwas zugestoßen ist. Und warum wir eigentlich zu ihm gekommen sind.«
Thor nickte.
»Ich finde, wir sollten ihn noch mal genauer unter die Lupe nehmen. Wie lange kennt er Anisa schon? Was für ein Verhältnis haben sie zueinander?«
Er sah Kraus an.
»Und vor allem: Hilft er ihr dabei, sich zu verstecken?«
*
Hinter ihr ragte die Hamburgische Staatsoper mit ihrer Glasfassade und ihren goldfarbenen Säulen empor. Es war früh am Nachmittag, und die Straße vor der Oper glich einer einzigen Baustelle. Die Luft war klar und frisch, und die Sonne wärmte zum ersten Mal in diesem Jahr ein wenig.
Linnea drehte den Kopf und konnte merken, wie ihr Körper das Licht aufsaugte. Unglaublich, was für einen Unterschied ein paar Stunden Zugreise in den Süden doch ausmachten. Sie rückte die Politiken von heute, die sie unter den Arm geklemmt hatte, zurecht, damit der Zeitungskopf deutlich zu sehen war. Eigentlich kam sie sich ziemlich dumm vor, hier so auffällig herumzulungern, wie ein Tourist ohne Ziel oder ein Spion, der den Mauerfall verschlafen hatte. Die Wärme der Sonne animierte ihre Nase nur noch mehr zum Laufen, doch sie hatte ihr letztes Taschentuch auf dem Spaziergang vom Hauptbahnhof durch die Innenstadt aufgebraucht. Sie blickte zum siebten Mal auf ihren Blackberry, aber natürlich hatte es in der vergangenen Minute keine Aktualisierung gegeben. Warten war nicht gerade ihre Stärke – und vor allem dann nicht, wenn sie nicht wusste, worauf sie eigentlich wartete.
Die Nachricht war unmissverständlich gewesen: Sie sollte allein und mit der tagesaktuellen Ausgabe von Politiken unter dem Arm erscheinen. Was als Nächstes passieren würde, wusste sie nicht. Linnea drehte sich um und wollte ein weiteres Mal das Plakat zur großen Faust -Inszenierung in diesem Frühjahr studieren, zögerte jedoch, als ein jüngeres Pärchen auftauchte und auf den Haupteingang zusteuerte, neben dem sie stand. Ihr brach der Schweiß aus, und zum ersten Mal fühlte sie sich unwohl, doch sie schob die Paranoia von sich. An einem so öffentlichen Ort hielt sich die Gefahr in Grenzen. Sie versuchte, völlig unbeeindruckt auszusehen, und richtete all ihre Aufmerksamkeit auf das Paar, das eng umschlungen und flüsternd auf sie zukam. Doch dann gingen die beiden schnurstracks an ihr vorbei durch die Glastür und hatten nur Augen füreinander.
»Ich erkenne den Ort überhaupt nicht wieder«, sagte im nächsten Moment eine Frauenstimme hinter ihr. »Genau hier war ich vor fünfundzwanzig Jahren einmal mit deinem Vater.«
Sie klang heiser, und ihr Englisch hatte einen leicht französischen Akzent. Linnea wandte sich der Frau zu, die sich unbemerkt von der anderen Seite genähert hatte. Sie nickte Linnea freundlich zu und dirigierte sie, indem sie die Hand leicht auf ihre Schulter legte, in Richtung Dammtorwall. Als sie die Straße halb überquert hatten, nahm Linnea sich endlich zusammen.
»Sie sind …«
Die Frau unterbrach sie mit einer Handbewegung, ganz offensichtlich daran gewohnt, dass man ihr gehorchte. Sie trug Handschuhe aus feinem grauen
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