Bewahre meinen Traum
ihre Freunde in einer der Höhlen eine düstere Entdeckung gemacht. Sie waren auf Überreste einer lang zurückliegenden Tragödie gestoßen. Sogar jetzt, in der warmen Sommerluft, überlief Daisy beim Gedanken daran ein Schauer.
„Geht es dir gut?“, fragte Julian besorgt.
Daisy gab sich einen mentalen Schubs. „Klar. Ich bin jetzt hier fertig.“
Sie richtete sich auf, die Bewegung verursachte ein scharfes Stechen in ihrem Kreuz.
„Ist wirklich alles in Ordnung?“, fragte Julian.
„Ja, ich bin es so leid, schwanger zu sein. Manchmal möchte ich einfach nur noch schreien.“
„Na dann los, schrei.“
„Das hilft nicht. Glaub mir, ich hab’s versucht.“ Sie setzte die Kappe auf die Linse. „Tut mir leid, ich leide ein wenig vor mich hin. Ich schätze, ich bin einfach müde.“ Gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg. Julian war ihr in diesem Sommer so ein guter Freund gewesen, genauso wie im Sommer davor. Wusste er, wie viel sie von ihm gelernt hatte, darüber, wie man selbstständig und eigenverantwortlich war und die Kontrolle über sein eigenes Leben übernahm? Merkte er, dass sie trotz ihrer Schwangerschaft immer noch in ihn verknallt war? Sie würde deswegen allerdings nichts unternehmen. Ihre Freundschaft bedeutete ihr zu viel und zu versuchen, etwas anderes daraus zu machen, vor allem an diesem Punkt in ihrem Leben, würde vermutlich nur dazu führen, dass sie ihn ganz verlor.
Und das konnte sie sich nicht leisten. Wo Sonnet den Sommer über weg war, brauchte sie jemanden, mit dem sie reden konnte, dem sie vertraute. „Ich habe mich entschieden“, sagte sie nach einer Weile. „Du weißt schon, die Sache, über die wir gesprochen haben.“
„Du willst wegziehen.“
Sie nickte. „Nicht jetzt gleich. Aber … bald. Vielleicht wenn das Baby ein paar Monate alt ist. Ich hab’s meinen Eltern noch nicht erzählt.“
„Warum nicht?“
„Oh je. Wenn du meinen Dad kennen würdest, wüsstest du warum.“
„Er wird es nicht wollen.“
„Genau. Weißt du, ich hatte nie vor, nach der Highschool hier zu bleiben. Ich meine, wie lahm ist das bitte, zu Hause zu wohnen?“
„Gar nicht lahm, wenn man bedenkt, was bei dir alles los ist.“
„Vielleicht, aber ich muss das Gefühl haben, das mein Leben weitergeht, anstatt bis in alle Ewigkeit von meinem Dad abhängig zu sein.“
„Hast du schon einen Plan?“
„So in der Art.“
„‚So in der Art‘ wird ihm nicht reichen. Er wird Einzelheiten wissen wollen.“
„Ihm wird gar nichts reichen außer seinem Plan, aber zumindest fange ich an, mich mit dem Gedanken wohlzufühlen, allein zu leben. Bis vor Kurzem hatte ich noch Angst, wegzugehen. Nicht so sehr meinetwegen, sondern wegen meines Dads. Er schien nach der Scheidung so verloren. Ich hatte Angst, wenn ich auch gehe, würden er und Max … Ich weiß nicht, in sich zusammenfallen und weggepustet werden. Im übertragenen Sinne gesprochen. Ich meine, ich bin nicht das Zentrum ihres Universums, aber seitdem meine Mom gegangen ist, habe ich das Gefühl, für sie da sein zu müssen.“
„Und was ist jetzt anders?“
„Mein Dad braucht mich nicht mehr so wie vorher. Ich glaube, er trifft sich mit Nina“, sagte sie.
„Oooookay“, erwiderte Julian.
„Nein, hör mal zu. Das ist wichtig. Ich weiß schon seit einiger Zeit, dass sie sich mögen. Ich glaube, inzwischen sind sie mehr als nur Freunde. Viel mehr.“ Sie wusste nicht, wann genau es eigentlich angefangen hatte, aber es war wohl ziemlich offensichtlich, dass ihr Vater und Nina Romano mehr als nur Freunde waren. Sehr viel mehr. Sie versuchten, es sich nicht anmerken zu lassen, doch wenn sie zusammen waren, war Daisys Dad anders. Fröhlicher und viel lebendiger. Und er zog sich in letzter Zeit auch immer richtig cool an. Sicher, er hatte immer gewusst, wie man sich fürs Geschäft gut anzog, aber jetzt machte er sich sogar Gedanken über seine Frisur. Als sie das letzte Mal einkaufen waren, hatte er volle fünf Minuten gebraucht, um ein Deo auszusuchen. An manchen Tagen passte sein Gürtel sogar zu seinen Schuhen.
Überraschenderweise hatte Daisy darauf von Anfang an positiv reagiert. Ihr Dad war vorher mit einigen Frauen ausgegangen, was sie immer komisch und unangenehm gefunden hatte. Doch die Vorstellung von ihm und Nina gefiel ihr. Vielleicht weil sie und Sonnet beste Freundinnen waren und sie Nina schon immer gemocht hatte. Was vermutlich daran lag, dass Nina jemand war, mit dem Daisy über das Baby sprechen konnte
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