Bewahre meinen Traum
haben letzten Mittwoch eine kleine Tochter bekommen, und alle sind wohlauf.“
Die Neuigkeit wurde mit zustimmendem Gemurmel aufgenommen. Zwischen den Kursteilnehmern war eine Bindung entstanden, was angesichts der Tatsache, dass ihnen allen das gleiche lebensverändernde Ereignis ins Haus stand, nur natürlich war. Es war eine interessante Mischung – verheiratete Großstadtpflanzen, die neu hierhergezogen waren, ein schwules Pärchen und ihre immer fröhliche Leihmutter, ein unglückliches Paar, das fest davon ausging, dass ihr ungeborenes Kind ihre Ehe retten würde, eine tätowierte Teenagerin, die so viele Piercings im Gesicht hatte, dass sie aussah, als wäre sie kopfüber in eine Köderkiste gefallen. Randy und Gretchen hatten den Spitznamen die Flitterwöchner bekommen, weil sie sich mit gleicher Leidenschaft stritten und liebten. Sophie ließ einmal ihren Blick über die Runde gleiten und nahm alles in sich auf.
Greg war dabei gewesen, als sein Sohn auf die Welt gekommen war. Er hatte geweint, aber ein Teil von ihm war selig ignorant gewesen, was den ganzen Vorgang von Schwangerschaft und Geburt anging. Jede Woche mit Daisy hierherzukommen war ein ganz anderes Erlebnis. Er stellte fest, dass er sich auf all die Dinge konzentrierte, die schieflaufen konnten – eine abgedrückte Nabelschnur, Anomalien, Blutungen, Infektionen … Sein Kopf war voll mit all den Ängsten der Welt, und er musste trotzdem so tun, als wäre alles gut.
„Nachdem das hier heute die letzte Stunde in diesem Kurs ist, sprechen wir heute über die letzte Phase der Wehen und die Geburt selber.“ Barbaras forscher Ton und ihr scharfer Akzent verbargen, was für ein weiches Herz sie hatte. Auf der Leinwand erschien eine Liste. „Konzentrieren wir uns aufs Pressen …“
Greg fiel es schwer, sich zu konzentrieren, selbst als Barbara sich anderen Themen zuwandte, wie dem ersten Tag des Babys zu Hause im neuen Heim. Mit jedem vergehenden Tag wurde die Vorstellung, dass Daisy ein Kind zur Welt bringen würde, für ihn immer realer. Der Gedanke an ein Baby im Haus – ein Neugeborenes – war überwältigend.
Das wird so cool, dachte er.
Daisy erhaschte einen Blick auf sich im Schaufenster des Ladens, an dem sie auf dem Rückweg vom Geburtsvorbereitungskurs angehalten hatten. Wie immer erschreckte sie ihr Anblick. Ich sehe aus wie ein Football-Spieler, dachte sie und musterte ihr fülliges Gesicht, ihren Hals, ihre dicken Beine und Knöchel, die unter einem Sommerkleid von der Größe eines Zirkuszelts herausschauten.
„Geht es dir gut, Honey?“, fragte ihr Mutter und nahm ihre Hand.
Bis vor einer Sekunde ja. Daisy sagte es nicht laut, aber verdammt, es war schwer genug, dem ganzen Gewicht ins Auge zu sehen, das sie im Laufe der letzten Monate zugelegt hatte. Wenn dabei aber noch ihre Mutter, ihre wunderschöne, perfekte, dünne Mutter neben ihr stand, sah Daisy aus wie ein Festwagen.
„Ja, alles gut“, sagte sie. „Lass uns reingehen.“
Sie beobachtete, wie sich ihre Eltern wie höfliche Fremde benahmen, und es machte sie unglaublich traurig. Das Schlimme an dieser Scheidung war, dass es keinen Bösewicht gab. Nur zwei Leute, die nicht länger miteinander leben konnten, egal wie. Auch wenn das Auseinanderbrechen ihrer Familie beinahe ein ganzes Jahr her war, verspürte Daisy doch ab und zu noch einen stechenden Schmerz. Vielleicht würde der nie vergehen. Sie fühlte sich immer noch schlecht wegen der Art, wie es für ihre Mutter gelaufen war. Im letzten Herbst, als alle zerbrochenen Stücke endlich gefallen waren, hatte es endlose Diskussionen – okay, lautstarke Auseinandersetzungen – darüber gegeben, wo Daisy und Max wohnen würden und wer die Verantwortung für sie trüge und was das Beste für sie wäre. Mom hatte natürlich gewollt, dass Max und Daisy mit ihr kommen. Da die Mutter beinahe immer die sorgerechtsberechtigte Person war, war entschieden worden, dass sie mit ihr gehen.
Aber die Sache hatte einen Haken. Mom rettete die Welt. Genauer gesagt, sie rettete ein kleines Fürstentum im Süden Afrikas, indem sie einen Warlord wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anklagte. Von dem Ausgang des Prozesses hing ab, ob Menschen leben oder sterben würden. Damit Mom also ihre Arbeit zu Ende führen konnte, musste sie in Den Haag leben, dem Sitz des Internationalen Kriegsgerichtshofs. Sie hatte schon die entsprechende Schule für Daisy und Max herausgesucht, eine internationale Schule, auf die zu gehen jedes Kind
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