Bewahre meinen Traum
sich das erste Mal liebten. Irgendwann würden sie vergessen, was sie einander mal bedeutet hatten, oder wenn sie sich doch daran erinnerten, würden diese Erinnerungen nicht mehr wehtun.
Jetzt jedoch wurde ihm bewusst, dass zwischen ihnen gar nichts vorbei war. Im Gegenteil, etwas fing gerade an. Er konnte immer noch nicht zu dem Bündel Decken in dem Tragekorb schauen. Aber er konnte es auch nicht länger ignorieren. „Es ist also meins“, sagte er. Das war keine Frage. Sophie war zwar ein Mensch, der Geheimnisse hatte, aber sie war keine Lügnerin. Und sie hätte sich nicht dem Schmerz ausgesetzt, hierherzukommen, wenn sie sich nicht hundert Prozent sicher wäre.
„ Es ist ein Mädchen“, sagte sie, und Greg zuckte innerlich zusammen, als er den ätzenden Ton hörte, den Sophie so gut beherrschte. Sie hatte schon immer die einzigartige Fähigkeit besessen, ihm das Gefühl zu geben, winzig klein zu sein. „Und ja“, fuhr sie fort, „sie ist deine Tochter. Ich bin alleine gekommen, um es dir zu sagen, weil ich will, dass wir gemeinsam eine Entscheidung treffen, ohne dass uns jemand hineinredet.“
„Mit ‚irgendjemand‘ meinst du vermutlich deine Eltern“, sagte Greg. Anders und Kirsten Lindstrom waren beide Partner in einer der angesehensten Anwaltskanzleien von Seattle. Und das war typisch für Sophie. Alleine dadurch, dass sie das Thema anschnitt, wurde ein gewisser Druck aufgebaut. „Sie sind dein Plan B, richtig? Ich meine, sollte ich versuchen, meine Verantwortung zu leugnen. Was dir zeigt, dass sie mich überhaupt nicht kennen. Und das gilt vielleicht auch für dich.“
Zu seiner Überraschung war Sophie den Tränen nahe, sie wirkte unglaublich verletzlich. „Oh Greg. Ich wünschte, ich hätte es dir eher gesagt, aber ich hatte solche Angst.“
Aus der Babytrage kam ein Geräusch. Ein schläfriges Stöhnen, beinahe unhörbar sanft, und doch dröhnte es in Gregs Ohren. Der kleine Ton schien Sophie zu verwandeln. Ihr Unsicherheit verwandelte sich in puren Stolz, als sie sagte: „Sie heißt Daisy.“
Greg fühlte sich wie vom Blitz getroffen; danach folgte ein Gefühlsrausch, den er nicht erklären konnte. Plötzlich war es kein „es“ mehr, sondern ein Mädchen. Seine Tochter. Und sie hatte einen Namen. Daisy.
Mit ungelenken, hölzernen Bewegungen ging er neben der Trage in die Knie. Er wusste nicht, wie man das Verdeck zurückklappte, also beugte Sophie sich herunter und half ihm. Das goldene Licht der untergehenden Sonne fiel auf das kleine Bündel. Mit einem Finger und zitternder Hand schob Greg die Decke beiseite, und endlich nahm das Bündel menschliche Formen an. Als er sie anschaute, stockte ihm der Atem. Dieses zerbrechliche, winzige Kind, das so tief schlief wie eine Figur im Märchen. Er starrte das runde, perfekte Gesichtchen an, die unglaublich kleinen Fäuste, die sich an die leicht geröteten Wangen drückten. Das Gesicht des Babys zuckte im Schlaf, dann wurde es ganz weich und entspannt.
Und einfach so veränderte sich seine Welt. Gregs Brust fühlte sich an, als würde sie jeden Moment platzen. Von einem Platz in seinem Herzen aus, von dessen Existenz er bis dahin nichts gewusst hatte, fing er auf einmal an, sein Kind zu lieben. Die Liebe überwältigte ihn, war so intensiv und unerwartet wie ein plötzlicher Sturm, der die Landschaft für immer verändert. Dann schaute er zu Sophie hinauf und wusste, dass er verdammt noch mal besser herausfand, wie er auch sie lieben konnte.
8. KAPITEL
D er Sommer im Camp Kioga endete mit einer unerwarteten Hochzeit, und Nina ertappte sich dabei, von der Entwicklung unangemessen fasziniert zu sein. Mrs Romano und Mrs Majesky lieferten das Catering für die kleine Familienfeier, die die Bellamy-Familie und das Camp kurzfristig in Aufruhr versetzte. Ein paar von Sophie Lindstroms Freundinnen und die Familie kamen den ganzen Weg aus Seattle und wohnten im Inn am Willow Lake, wo Nina auch erfuhr, was es mit der Hochzeit auf sich hatte. Bei ihrer Arbeit im Inn hatte sie gelernt, den Unterhaltungen der Gäste zuzuhören, ohne dass es ihnen auffiel.
Sophies Freunde waren alle sehr gebildet und weit gereist, dennoch konnten sie nicht aufhören, sich über die Wasserleitungen, die fehlende Klimaanlage und den unglaublichen Mangel an Unterhaltung in der kleinen Stadt Avalon zu beschweren. Sophies Gäste kamen paarweise, so wie die Tiere auf Noahs Arche. Zwei beste Freundinnen – Lucy Rosetta und Miranda Sweeny. Zwei Elternteile – keine
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