Bewahre meinen Traum
mich macht.“
Wie aufs Stichwort glitt ein Bild von Daisys Mutter über den Monitor. Sophie Bellamy – sie behielt ihren Ehenamen aus beruflichen Gründen, wie sie sagte – war hübsch, perfekt frisiert und sehr ernst. Daisy spürte, dass Julian sie beobachtete und nicht die Fotos.
„Meine Mom hat diesen einmaligen Job am Internationalen Gerichtshof in Den Haag bekommen. Sie arbeitet an Menschenrechtsfällen.“ Wie immer, wenn sie an ihre Mutter dachte, verspürte Daisy eine Mischung aus Liebe und Stolz, Frustration und Wut. Manchmal wollte sie einfach nur auf dem Schoß ihrer Mutter sitzen und weinen. Dann fühlte sie sich jedes Mal total egoistisch. Ihre Mom arbeitete hart, um hilflose Kinder vor Folter und Hunger zu bewahren. Wie konnte Daisy nur daran denken, sich dem in den Weg zu stellen?
Sie schnappte ihre Kamera und stand auf. „Wir brauchen einen Szenenwechsel“, sagte sie. „Wie wäre es, wenn wir eine Weile rausgehen?“
„Sicher.“ Er erhob sich und hielt ihr die Tür auf. „Geh voran. Ich soll zwar eigentlich ein Stück Regenrinne austauschen, aber ich muss auf den Vormann warten, der mir die große Leiter bringt.“ Er zeigte auf eine rostige Regenrinne, die vier Stockwerke über ihnen unter dem Dach hing. „Ich hatte angeboten, hinaufzuklettern, aber Connor ist ziemlich streng, was die Sicherheitsvorkehrungen angeht.“
„Er hat im Moment viel zu tun“, sagte Daisy und ging auf dem Kiesweg voran, der zum See führte.
„Wer ist das?“ Julian beschattete seine Augen mit der Hand und schaute in Richtung Bootshaus.
„Nina Romano, die Mutter meiner Freundin Sonnet.“ Daisy winkte, aber Nina schien sie nicht zu sehen. Sie gingen schweigend weiter, und endlich stellte Daisy die Frage aller Fragen: „Und, hast du eine Freundin?“
„Nein, außer du hast deine Meinung seit letztem Sommer geändert.“ Er grinste.
Im letzten Sommer hatte er Avancen gemacht, aber sie war wegen der Scheidung ihrer Eltern so verwirrt und verletzt, dass sie niemanden an sich heranlassen wollte. Idiotin, dachte sie.
„Sehr lustig“, grummelte sie und drehte sich weg, damit er nicht sah, wie sie errötete.
„Das sollte nicht lustig sein“, sagte er. „Ich wollte wirklich mit dir zusammen sein.“
Wie eine ganze Reihe anderer Jungen auch, erinnerte sie sich. Doch das Wissen erfüllte sie nicht mit Stolz. Sie war ein Partygirl gewesen, die Fröhliche, die immer für ein paar Lacher gut war.
Diejenige, die alles tun würde, um die Aufmerksamkeit ihrer unglücklichen, von Arbeit besessenen Eltern zu erlangen.
„Das Mädchen bin ich nicht mehr“, sagte sie leise.
„Du bist immer noch du“, erwiderte er. Er schaffte es immer, sie zum Lächeln zu bringen.
„Und noch ein bisschen mehr.“
Sie führte ihn auf dem Anwesen herum, zeigte ihm die interessanten Seiten des Inn, die Pickleball- und Tennisplätze, das Bowling- und das Krocket-Grün. Die verrückt hohe Konstruktion, die Aussichtsturm genannt wurde. Vom Ende des langen Stegs aus konnte sie verschiedene Wahrzeichen der Stadt erkennen – den Avalon Boating Club am Blanchard Park, die Sommerhäuschen, die sich am Seeufer drängten.
„Hier ist es echt schön“, sagte er.
„Hm-mh. Ich bin froh, dass mein Vater das Anwesen gekauft hat.“
„Also hast du vor, hier zu bleiben …?“ Er ließ die Frage in der Luft hängen.
„Im Moment versuche ich, so gut es geht von einem Tag zum nächsten zu kommen.“ Dann entschied sie, ehrlich zu ihm zu sein. „Denn auch wenn es so aussieht, als wäre ich diejenige, die in Schwierigkeiten steckt, sind es in Wahrheit mein Vater und mein Bruder. Sie sind so … verloren. Irgendwas sagt mir, dass ich in ihrer Nähe bleiben soll.“
„Sie könnten dich überraschen“, sagte Julian.
Daisy stellte sich ihren Dad und Max vor, zwei Kerle, die versuchten, allein zurechtzukommen. „Vielleicht. Im Moment jedoch habe ich nicht vor, irgendwo anders hinzuziehen.“ Sie machte ein paar Fotos, fing das Glitzern der Sonne auf dem Wasser ein, eine Familie Enten, die vorbeischwamm. „Was mir wirklich gefallen würde“, gestand sie, „wäre, Fotografie zu studieren. Und zwar nicht nur online. Ich würde das gerne beruflich machen.“
„Dann solltest du das tun.“
„Ja, genau, ich fang gleich damit an.“
Er schüttelte ihren Sarkasmus ab. „Der Plan wird auch morgen noch da sein und nächstes Jahr, und wann immer du dich für seine Umsetzung entscheidest.“
Sie nickte. „Es ist ironisch, dass ich
Weitere Kostenlose Bücher