Bewahre meinen Traum
bedeuten hatte. Sie wischte ihre mit einem Mal feuchten Hände an ihren Oberschenkeln ab und drehte sich um.
Guter Gott!
Wie zum Teufel konnte das hier der schüchterne, verlegene Junge sein, den sie vor vier Sommern so kurz – und doch so intensiv – gekannt hatte?
Das hier war ein perfekt gepflegter Mann in Uniform, der zielgerichtet auf sie zukam. Seine Haltung war makellos, seine Schritte entschlossen. Er war eindrucksvoll, einschüchternd, unwiderstehlich – ein zum Leben erweckter Märchenprinz.
Unter seinem stechenden Blick löste sich Ninas sorgfältig vorbereitete Rede in Luft auf. „Danke, dass du gekommen bist“, sagte sie.
„Nichts hätte mich davon abhalten können.“ Er stand unerbittlich vor ihr, so steif und formell wie ein eins neunzig großer GI Joe.
Nina wusste nicht, was seine überhebliche Haltung zu bedeuten hatte – war es echte Selbstsicherheit oder nur eine Schutzmauer für seine nagende Furcht? Sie sah, wie sein Blick über den Park glitt, ein Terminator, der sein Ziel sucht, aber keines findet, denn auf dem entfernten Spielplatz tobten Kinder aller Größen, Alter und Hautfarben.
„Wo ist das Kind?“ Die barsche Frage klang wie ein Befehl, dazu bestimmt, Untergebene einzuschüchtern.
Nina lachte kurz auf und erkannte an seiner Reaktion, dass er ein solches Verhalten nicht gewohnt war. „Das muss nicht sein.“ Er fühlte sich auf einmal weniger bedrohlich an. „Und außerdem wird es dir nicht gelingen.“
„Was gelingt mir nicht?“
„Mich einzuschüchtern, oder was auch immer du da versuchst.“
„Ich versuche gar nichts …“
„Ich habe in der Notaufnahme ein Kind ohne Narkose zur Welt gebracht. Ich ziehe seit drei Jahren ganz allein ein Kind auf, während ich nebenbei arbeite und zur Schule gehe. Inzwischen kann mich wirklich nichts mehr einschüchtern. Und du schon gar nicht.“
Er sah sie mit versteinerter Miene an. „Das hatte ich auch nicht vor.“
Er sprach jetzt sogar anders, in kurzen, abgehackten Befehlen. Nina weigerte sich, zusammenzuzucken. „Ich tue das hier dir zum Gefallen, und weil Sonnet es verdient hat, alles über sich zu erfahren. Aber wenn du glaubst, du könntest dich ihr gegenüber auch nur eine Sekunde lang wie GI Joe benehmen, irrst du dich.“
„Aber ich …“
„Entspann dich, Soldat“, sagte sie. „Oder dieses Treffen ist auf der Stelle vorüber.“
Sein Blick gab als Erstes nach. Er wandelte sich von hartherzig zu besorgt. Die angespannten Linien seines Gesichts wurden weicher, und seine tadellose Haltung lockerte sich unmerklich. Nina zeigte auf die Gruppe Kinder. „Meine Tochter Sonnet ist mit meiner Freundin Jenny dort drüben auf der Wippe. Ich werde euch einander in einer Minute vorstellen. Aber sie ist noch so klein. Du musst versprechen …“
„Ich habe dir am Telefon mein Ehrenwort gegeben“, unterbrach er sie.
Und natürlich, als West-Point-Absolvent war sein Ehrenwort legendär. Sie musste ihm vertrauen, dass er Rücksicht darauf nehmen würde, dass er für Sonnet ein vollkommen Fremder war. Er hatte zugestimmt, dass sie ihn langsam kennenlernen sollte. In ihrem Alter besaß sie nur ein rudimentäres Verständnis des Wortes Vater . Sie würde in das Verständnis hineinwachsen müssen. Nina hoffte, Sonnet würde ihren Vater als guten Mann kennenlernen, der weit weg wohnte.
Als sein Blick sich auf Sonnet senkte, fiel seine Maske von ihm ab. Ein roher Schmerz blitzte auf, und in den wenigen Sekunden erkannte Nina den scheuen Jungen, an den sie sich erinnerte, und sie wusste, woher Sonnet ihr edles Aussehen hatte. Sie besaß die hohen Wangenknochen und die wunderschönen dunklen Augen ihres Vaters. Sie hatte sogar seine körperliche Präsenz – ein Athlet, der sich in seiner Haut wohlfühlte. Am Telefon hatte Nina Laurence versichert, dass es nur um Sonnet ging, darum, dem Kind zuliebe jegliche Zweifel an seiner Vaterschaft auszuräumen. Es ging nicht darum, Laurence in die Ehefalle zu locken oder aus ihm Unterhaltszahlungen herauszuholen. Nina hatte ihm gesagt, dass sie einem Bluttest zustimmen würde. Aber in dem Moment, in dem sie die beiden zusammen sah, wusste sie, dass niemand mit Augen im Kopf die Ähnlichkeit der beiden leugnen konnte.
„Sie ist … oh, guter Gott.“ Er atmete tief durch und räusperte sich. Dann wandte er sich an Nina. „Du hättest mir schon vor langer Zeit von ihr erzählen sollen.“
„Ich hatte daran gedacht“, erwiderte Nina. „Und viele Male hätte ich es beinahe
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