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Bewegt Euch

Bewegt Euch

Titel: Bewegt Euch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hajo Schumacher
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hat, bis hin zur Trennung oder gesundheitlichen Problemen. Optimieren heißt riskieren. Und beides kann man übertreiben.

»Du musst!«

    Es gibt nur noch wenige Manager, die nicht laufen.
    Thomas Wessinghage, Lauftrainer und Arzt
    Bewegen aktiviert ein Arsenal von Mythen in uns. Da sind die Prototypen des Abenteurers wie Sir Edmund Hillary, Rüdiger Nehberg oder Arved Fuchs, da sind die Rackerer wie der Fußballer Hacki Wimmer oder Radfahrer Udo Bölts, der seinem Mannschaftskapitän Jan Ullrich einst die goldenen Worte »Quäl dich, du Sau!« mit auf den Aufstieg gegeben haben soll. Da sind tragische Figuren wie Ayrton Senna, Joachim Deckarm oder Sebastian Deisler und die ewigen Heroen Muhammad Ali und Haile Gebrselassie. Wer in den Bergen unterwegs ist, wird schon bald an Reinhold Messner denken, Luis Trenker oder die Huber-Buam. Im Schwimmbad kommt man automatisch auf Franzi, Michael Phelps und Britta Steffen, beim Fußball im Park versucht auch das größte Untalent mindestens einmal den Buchwald-Übersteiger, der dem einstigen Stuttgarter Profi den Spitznamen »Diego« einbrachte. Wir Lookalikes spielen diese Heldengeschichten immer und immer wieder nach, beim Provinz-Marathon, im Spaßbad, auf der grünen Wiese.
    Was wir dabei gelegentlich verwechseln: Unsere Idole sind Berufsathleten, wir aber Freizeitsportler, wenn überhaupt. Verbissen setzen wir dennoch alles daran, uns so professionell wie möglich zu bewegen. Aus Freizeitvergnügen und fröhlicher Bedürfnisbefriedigung wird schnell Pflicht. Ein guter Manager muss einen respektablen Marathon gelaufen, wahlweise beim Admiral’s Cup dabei gewesen sein. Zur Not tut’s ein anständiges Handicap beim Golf. Keine Hollywoodgröße ohne Personal Trainer, keine erfolgreiche Frau, die nicht auf Yoga schwört.
    Die bewegungsrelevante Zielgruppe umfasst exakt 100 Prozent der Bevölkerung, genau genommen sogar mehr. Denn selbst Ungeborene im Mutterleib werden mit Hochdruck auf ihr Leben als hochbegabte Spitzenleister vorbereitet.
    Bewegen ist Pflicht für Senioren und Kinder, für reiche Übergewichtige, arme Depressive und umgekehrt, für Alleinstehende, Geschiedene und die in der Paartherapie. Hund, Katze, Maus haben auch ihren Coach, denn sie sind ebenfalls übergewichtig, depressiv und eingerostet.
    Wer sich bewegt, sammelt soziales Kapital wie Mülltrenner. Bewegen ist gut, Nachweis höchster Disziplin, gelebte Achtsamkeit, Einklang mit der Schöpfung, und es sieht gut aus, wenn auch nicht ganz so wie bei den Schönlingen, die uns von Plakaten, aus Zeitungen, Reklametafeln, sogar von Zuckerbrause-Werbung anlachen. Immerhin: Die Stretchklamotten halten zusammen, was sonst vielleicht lieber in sich zusammenfallen würde.
    Bewegung ist Erfolg, Glück, Optimismus. Obama bewegt sich, TV-Moderatorin Anne Will, Bahnchef Rüdiger Grube, RTL-Chefredakteur Peter Kloeppel, die Musiker Peter Fox, Smudo und Campino. Stimmt ja auch. Regelmäßiges Bewegen ist gesund. Gegen die drei häufigsten Volkskrankheiten, Rückenschmerzen, Herz-Kreislauf und Depression, hilft gemäßigtes Training, ebenso zur Rekonvaleszenz bei Krebstherapien wie beim Kampf gegen das Übergewicht. Alle Diäten haben eines gemeinsam: Bewegung steigert die Erfolgschancen.
    Wenn sich die guten Nachrichten derart ballen, lauert Übertreibung. Bewegen wird zur Bürgerpflicht stilisiert, zum Sinn eines guten Lebens.
    Kein Wunder, dass viele Menschen sich gern bewegen würden, aber einfach den Mut nicht finden. Unendlicher Druck lastet auf jedem Schritt, bei jedem Muskelzucken. Von überall her wird gebrüllt: »Du musst!« Du musst perfekt aussehen! Du musst alles richtig machen! Du musst perfekt ausgerüstet sein! Du musst eine Leistungsdiagnostik machen! Du musst dich anstrengen! Du musst dich entspannen!
    Auweia. Wer derart angebrüllt wird von Medien, Mitmenschen, Medizinmännern, der reagiert mit Angst. Den übergroßen eigenen und fremden Erwartungen steht Scheiter- und Peinlichkeits-Panik gegenüber. Die albernen Gymnastikübungen aus der Fitness-Zeitschrift werden nicht attraktiver, nur weil ich sie zum hundertsten Mal sehe. Genau einmal robbte ich nach Anleitung durchs Wohnzimmer, bis zu dem Moment, da die Kinder prustend in der Tür standen.
    Die totale Mobilmachung der Leistungsgesellschaft hat paradoxe Konsequenzen: Je mehr Ärzte, Krankenkassen, Gute-Laune-Animateure und Superstars zum kollektiven Move auffordern, desto höher liegt die gefühlte Latte, über die Einsteiger turnen müssen. Zu

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