Bewegt Euch
draußen. Ob allein, zu zweit, mit der Familie, in einer größeren Gruppe, mit Unbekannten oder einfach einem Gedanken, ob im See, am Hang, im Stadtpark. Es wäre ein Trugschluss, das große Glück vor allem bei der großen Expedition zu vermuten. Glück kommt dann, wenn es eine Chance bekommt. Wer jeden Tag eine Stunde draußen zubringt, erhöht diese Chancen beträchtlich.
Das Glück der Gemeinschaft
Es ist für die meisten das Herzstück des Glücks und das größte Tortenstück.
Eckart von Hirschhausen über das »Glück der Gemeinschaft«
Der Historiker William H. McNeill hat in seinem klugen Buch Keeping Together in Time: Dance and Drill in Human History nachgewiesen, dass wir synchrone Bewegungen als beglückend empfinden. Das Exerzieren der Soldaten und das gemeinsame Hüpfen im Fitness-Studio scheinen einen ähnlichen Effekt auf die menschliche Seele auszuüben. Offenbar aktiviert das wechselseitige Nachahmen jene wundersamen Spiegelneuronen im Hirn, die meine Handlungen und die anderer Menschen als halbwegs identisch identifizieren, und das wiederum gilt als ein Schlüssel für Einfühlen und Verstehen.
Die Süddeutsche Zeitung widmete dem »Gleichschritt zum Wir-Gefühl« einen großen, aufschlussreichen Artikel. Fazit: Synchrones Tun lässt die Grenzen von Ich und Wir verschwinden. Der Einzelne geht in der Gruppe auf. Wir fühlen uns eins mit den anderen und irgendwie auch mit dem Universum. Dieses Phänomen machen sich Diktatoren und Feldherren seit Jahrtausenden zunutze; Religionen wenden das Prinzip des kollektiven Handelns an, ob beim Singen, beim Gebet, bei Prozession oder Wallfahrt. Und inzwischen auch Marathon-Veranstalter.
Selbst in hyperindividualisierten Zeiten scheint das Hirn konformes Verhalten zu belohnen. Volkstänzer, sich drehende Derwische oder im Gleichklang skandierende Fußballfans sind offenbar druff auf Glückshormonen. Forscher fanden heraus, dass synchron handelnde Gruppen kooperativer miteinander umgehen als ein loser Verbund von Egomanen, die gemeinschaftliche Leistungen überproportional für sich nutzen.
Diese Erkenntnisse lassen sich auf den wöchentlichen Lauftreff übertragen, das Wandern mit der Familie, das Kanu-Wochenende mit Freunden, eine Radausfahrt mit Unbekannten. Gemeinsames Bewegen, möglichst synchron, macht glücklich. Wer mit anderen im Gleichtakt unterwegs ist, verspürt das Miteinander intensiver. Bewegen bildet ein Band, das alle zusammenhält. Was wissenschaftlich noch nicht lückenlos bewiesen sein mag, kann ich mit reichlich anekdotischer Evidenz untermauern.
Bewegen in der Gruppe ruft in mir unweigerlich Bilder aus meiner Kindheit wach, vom Schatz im Silbersee bis zum Ölprinz . Heute spielt der Nachwuchs Star Wars nach. Die Figuren sehen anders aus, aber die Story ist die gleiche: Gut gegen Böse, Sieg und Niederlage. Wir gegen die.
Ob die Apachen in ihren Booten lautlos über den See glitten, ob die elf Freunde in Berlin zum Endspiel antraten oder die Cartwrights gemeinsam die Verfolgung eines Viehdiebs aufnahmen – als Junge habe ich das kollektive Treiben von Gruppen mit größter Anteilnahme verfolgt und wünschte mir stets, dabei zu sein. Bis heute kann ich mich völlig unbefangen in diese uralten Rollen hineinversetzen.
Im vereinten Bewegen mit anderen Menschen werden diese alten, durchaus beruhigenden Muster aus meiner Kindheit aktiviert. Ich fühle mich stark und vor allem nicht allein, fast wie im Film. Der sicherste Weg zum individuellen Glück führt – zumindest beim Freizeitsport – über das Kollektiv und über eine rege Phantasie.
Lönneberga
Für den Sommer 2010 hatten wir einen unserer exotischsten Familienurlaube geplant, in einer unwirtlichen Gegend mit Eingeborenen, die sich in merkwürdigen Dialekten verständigten. Wir würden wüsten Wettern ausgesetzt sein, tagelange Märsche durch die Wildnis bewältigen müssen, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Wir wollten das Äußerste wagen: den Saar-Hunsrück-Steig. In diesen zehn Tagen gemeinsamen Wanderns habe ich wahrscheinlich mehr über meine Familie, über mich, über unsere Funktionszusammenhänge gelernt als in einem Jahr Alltag.
Als verantwortungsvoller Familienvater und Rottenführer hatte ich natürlich exakte Pläne zurechtgerechnet. Tageskilometer, Durchschnittsgeschwindigkeit, Rasten, Besichtigungs- und Fotogelegenheiten waren bereits vor dem Start akribisch festgelegt.
Leider war der schöne Plan schon zum Teufel, als wir frühmorgens in Idar-Oberstein
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