Bewegt Euch
aus dem Zug fielen. Es nieselte. Keiner der wenigen Passanten wusste, wo der Einstieg in den legendären Wanderweg zu finden sei. Der Kleine hatte Hunger, die Gattin verlangte nach einer Drogerie, und ich musste mal.
Wir streunten durch einen grauen Ort. Monas Vorschlag, mit einem Taxi zum Start zu fahren, lehnte ich empört ab. Wir wollten wandern, nicht Wellness. Die heiter-beschwingte Laune, die uns die berufsmäßigen Flunkerer im Familien-Reisemagazin in Aussicht gestellt hatten, wollte sich nicht einstellen.
Eine Stunde später hatten wir den Weg tatsächlich gefunden. Es ging bergauf, dafür hatte der Regen zugenommen. Nach etwa 500 Metern fragte der Kleine, ob wir eine Rast machen könnten, etwa 4,5 Kilometer vor dem ersten geplanten Stopp. Ich schwieg und verschärfte das Tempo. Irgendwann würde dieser elende Anstieg zu Ende sein. Tapfer unterdrückte ich den Gedanken, stracks zurück zum Bahnhof zu marschieren und vom nächsten Flughafen per Last-Minute-Offerte in einen Liegestuhl am Mittelmeer zu flutschen. Teurer wäre der Trip auch nicht, dafür sonnig. Der Junge könnte im Sand buddeln. Die Gattin den ganzen Tag in Drogeriemärkten zubringen.
Nichts da – jetzt wird gewandert. Hape Kerkeling, Manuel Andrack und Marianne und Michael tun das auch. Keine Gnade. Frau und Kind würden schon noch Gefallen finden an der Ruhe im deutschen Wald. Und ich erst.
Einen Vormittag lang schwiegen wir uns an. Ich hatte den Eindruck, die Gattin und der Kleine ließen sich absichtlich zurückfallen, um hinter meinem Rücken über mich zu tuscheln. Ich sog die Waldluft ein. Ich wollte mich erholen. Allein: Es ging nicht. Ich grummelte.
An einem Unterstand die erste Rast. Ich hatte mir kohlehydratarme Tage verordnet, weil ich bis zum nächsten Triathlon noch ein paar Pfunde loswerden wollte. Wer sich länger als zehn Minuten am Stück bewegt, reagiert auf Kohlehydrate wie ein Teckel auf Jagdwurst. Ich hasste mich. Plan nicht eingehalten, miese Stimmung in der Truppe und jetzt auch noch fehlende Disziplin am Rucksack. In einem Rutsch fraßen wir die schokoladenüberzogenen Reiswaffeln auf, die den ganzen Tag halten sollten.
Eine Ameisenarmee hatte sich einen Weg über den Schulterriemen des Rucksacks gebahnt. Ameisen sind Musterbeispiele für die Sogkraft des kollektiven Bewegens. Lebenslänglich Gänsemarsch. Der Kleine versuchte, die Angreifer umzuleiten, indem er einen Ast als Abzweigung zurück zum Boden anbot. Ich half, indem ich den weiteren Aufstieg am Riemen mit der leeren Schokoreiswaffelplastikschale blockierte. Nein, liebe Veganer: Wir quälten die Ameisen nicht, wir foppten sie nur. Wir lachten über die trotteligen Tiere, wie sie hintereinander weg über den Ast zurück auf den Waldboden marschierten.
Wir vergaßen die Zeit. Die Gattin war schon vorgegangen. Ich hatte seit einer Viertelstunde nicht mehr auf die Uhr geguckt. Vor einigen Momenten noch hatte ich mich wie der ständig griesgrämige Vater von Michel aus Lönneberga gefühlt, der bei jeder Kleinigkeit explodierte. Jetzt war ich eher Alfred, der nette Knecht, der den Jungen ernst nahm, mit ihm lachte, Dinge erklärte oder einfach mal die Klappe hielt.
Das Problem am gemeinsamen Wandern ist immer der Start. Ein plangeladener Vater, eine ängstliche Mutter und ein fünfjähriger Junge haben nun mal völlig verschiedene Erwartungen. Und vor allem sehr unterschiedliche Geschwindigkeiten. Die Synchronizität muss sich erst einschwingen.
Natürlich kapiert ein Kindergartenkind nicht, warum man im Wald irgendwelche Zeitpläne absolvieren muss. Ist ja auch richtig. Frauen neigen zur Angst, dass sie sich eitrige Blasen in den neuen Wanderschuhen holen. Der Vater wiederum glaubt nur an den Generalstabsplan und straft Trödelei mit Zorn.
Das Glück kommt dann, wenn sich alle in der Gruppe einfinden. Vati packt die Uhr ein, den Höhenmesser und das GPS-Gerät. Mutti gewinnt Selbstvertrauen und macht den nächsten Schritt schon ein wenig angstfreier. Und Kinder kapieren tatsächlich, dass es Sinn macht, das reservierte Quartier zu erreichen, spätestens dann, wenn ein paar Kilometer im Dunkeln zu absolvieren sind und eine kleine Vampirgeschichte zum Vortrag kommt.
Ohne dass ein Plan dahinterstand, haben wir auf dem Saar-Hunsrück-Steig eine interessante Ziehharmonika-Technik entwickelt. Mit Lesestoff bewaffnet konnte der ungeduldige Vater voranmarschieren, um auf einem Hochsitz in Ruhe ein Viertelstündchen zu lesen oder das Picknick
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