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Bewegt Euch

Bewegt Euch

Titel: Bewegt Euch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hajo Schumacher
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bis zum Alpenpass. Langsam kapierte ich, dass es sich um ein Kompliment handelte. Die Botschaft lautete: Es war nicht alles schlecht damals. Vieles war sogar deutlich besser, als wir damals dachten. Und je mehr Jahre verstreichen, desto schöner werden die Erinnerungen.
    Im Sommer 2012 bin ich mit dem Kleinen auf Radtour gegangen, von Berlin nach Kopenhagen. Er hat gemault, weil er in einen Vergnügungspark wollte, so wie alle seine Klassenkameraden. Aber ich habe ihn auf einsame Campingplätze verschleppt, durch Wind und Wetter von Etappe zu Etappe gequält. Wir waren allein mit uns und unserem Gekurbel, in weiten Feldern und nebligem Nichts. Und hinterher waren wir bessere Freunde.
    Spazierenlaufen
    Der Spaziergang gehört wie der Wald zu den ewigen deutschen Kulturgütern. Schriftsteller wie Stifter, Kafka, Eichendorff, Robert Walser haben dem erbaulichen Gang literarische Denkmäler gesetzt, Schiller entwickelte gar eine Naturphilosophie am Beispiel des bergan Wandernden. Der große Verleger Rudolf Augstein versöhnte sich mit seinem Erzfeind Franz-Josef Strauß auf gemeinsamen Märschen, die Schülerin Angela Merkel strebte in den Wald, wenn sie reden wollte, ohne abgehört zu werden.
    »Spazieren«, »ohne Hast gehen«, kommt wie »space« von »spaziare«, und das bedeutet wörtlich »sich im Raum ergehen«. Genau darum geht es: um Distanz, um Weite, die zur Muße führt, auch um eine breite Ziellosigkeit, die im wunderschönen Wort »sich ergehen« gipfelt. Barocke Gärten wurden allein zum Zwecke des Lustwandelns angelegt, ebenso Promenaden und die breiten Mittelstreifen der Boulevards.
    Im dynamischen 21. Jahrhundert ist das Spazierenlaufen die konsequente Fortentwicklung des Flanierens. Ganz wichtig dabei: ein Tempo zu finden, das eine Unterhaltung nicht nur ermöglicht, sondern geradezu erzwingt. Mediziner schwören, dass die Plaudergeschwindigkeit die gesündeste sei. Die Anstrengung reiche aus, den Körper zu fordern, ohne ihn zu stressen.
    Ein sonntäglicher Spazierlauf mit meinem Freund Thorsten gehört zu den Höhepunkten der Entspannung. Wir arbeiten alle großen, aber viel lieber noch die kleinen Themen durch. Wir ertragen es gelassen, überholt zu werden. Manchmal setzen wir uns auch an einem der Grunewaldseen ans Ufer und gucken einfach.
    Spazierenlaufen ist Heilsalbe für den Körper und die Seele. Die Nähe zweier Menschen und die mit jedem Schritt gewonnene Distanz bilden eine einzigartig beruhigende Kombination. Es gilt höchste Vertraulichkeit, vor allem aber das gemeinsame Ziel größtmöglicher Läuterung. Ob das Sport ist? Völlig egal. Es ist Glück, vielleicht das zuverlässigste überhaupt.

Das Glück der Besinnung

    Laufen ist keine Religion, es ist ein Ort.
    George Sheehan
    Ich bin ja nicht so der Esoteriker. Die Amtskirche ist mir ebenfalls fremd. Die Rituale aber sind mir vertraut. Kirchgang mit meinen Eltern war nicht sonntägliche Pflicht, fand aber öfter statt als nur zu Weihnachten. Singen, Schweigen, Beten und der liebe Gott als mürrische Instanz darüber – das war Besinnung.
    Frage an Blasphemie-Experten: Ist es gotteslästerlich, wenn ich einen sonntäglichen Lauf durch die Wälder des Herrn zu meinem persönlichen Gottesdienst erkläre? Die Phänomene sind ähnlich. Ich singe vor mich hin, die vergangene Woche wird, auch moralisch, noch mal durchgearbeitet. Vielleicht bitte ich nicht jedes Mal um die Vergebung meiner Sünden. Und mit dem ein oder anderen Schuldner bleibt auch eine Rechnung offen.
    Aber dieses Kirchengefühl taucht hin und wieder tatsächlich auf. Zumal die Natur als spürbare Schöpfung allemal so kontemplativ ist wie ein Gotteshaus. Die Gedanken fließen ungehindert. Die Trias von Schritten, Atmen, Denken verortet mich im Hier und Jetzt. Bisweilen geschieht es, dass ich auf die Uhr blicke und mich verdattert frage, wo die letzte Viertelstunde geblieben ist. Ich kann mich an nichts erinnern. Ich war mit mir, bei mir, habe mich in einem Moment der Einkehr bewegt. Innere Ruhe, jedenfalls für ein paar Minuten.
    Dass ich meditativ abgetaucht bin, spüre ich an der Qualität der Erinnerungen. Anfangs wird alltägliches Allerlei bearbeitet, auf der nächsten Stufe sind es grundsätzlichere Themen wie eigene Fehler oder das aktuelle schlechte Gewissen. Der vorübergehende Abschied von der Welt ist vollzogen, wenn in einer dritten Stufe plötzlich Geschichten von früher aufploppen, aus ferner Kindheit, von vergessen geglaubten Schulkameraden, deren Gesichter

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