Bewegt Euch
Pfarrer am Flughafen München
Dieses Glück lässt sich anlocken. Wie? Ganz einfach: Rausgehen. Wer den längsten Teil seiner Freizeit in der Höhle zubringt, vor Bildschirm oder Kühlschrank, der lässt dem Glück wenig Möglichkeiten, einfach mal aufzutauchen. Wer sich aber in die freie Wildbahn begibt, ganz gleich ob allein oder im Rudel, dem kann was passieren, im Idealfall was Gutes.
Die querende Wildschweinrotte, ein Regenbogen im sommerlichen Nieselregen, ein paar gemeinsame Kilometer mit Unbekannten oder die Luftpumpe, die mir mal jemand im Vorbeifahren zuwarf, als ich einen Platten reparierte. Dass draußen immer was passiert, darauf ist Verlass.
An einem verregneten Sonntagmorgen weiß ich zum Beispiel nicht, ob ich einen kurzen schnellen Lauf absolvieren soll, vielleicht doch lieber zum Schwimmen gehe oder mit dem Kleinen auf den Spielplatz. Nur eines steht fest: raus. Also werde ich einen missgelaunten Erstklässler, der fernsehen will, davon überzeugen, auf sein Fahrrad zu steigen. Fernsehen gibt’s zur Belohnung hinterher.
Er radelt, ich laufe, die ersten Minuten von vorwurfsvollem Schweigen begleitet. Plötzlich aber beginnt ein Gespräch, weil wir ein Werbeplakat sehen, ein besonderes Auto oder einen merkwürdigen Menschen. Manchmal beginne ich, etwas zu erklären. Manchmal fängt mein Sohn an zu erzählen, irgendeine Geschichte von irgendeinem Mitschüler, die ihn offenbar beschäftigt. Ich höre zu und versuche zu erfassen, was den kleinen Mann umtreibt. Der Nieselregen stört uns ebenso wenig wie die langweilige Strecke durch den Wald. Wir fühlen uns nah. Wir entwickeln Verständnis füreinander. Wir wachsen gemeinsam ein wenig und fühlen uns gut.
Diese Disziplin steht in keinem Trainingsplan, sie lässt sich nicht herbeiorganisieren. Und doch ist diese Stunde wertvoller als ein dreiwöchiges Trainingslager. Wir haben dem Zufall eine Chance gegeben, weil wir uns aufgerafft haben, an einem trüben Sonntagmorgen vor die Tür zu gehen. Wir haben etwas ausprobiert. Und wir haben etwas erfahren, uns. Das wäre zu Hause nicht passiert.
One-Run-Stand
Früher, als ich noch erfolgshungrig war, verschlug mich das Schicksal zum Mallorca-Marathon. Ich war als prominenter Autor eingeladen; die Veranstalter erwarteten Tausende Läufer zu meiner Lesung. Schließlich saßen wir zu acht in einem stickigen Zelt. Ein Mega-Event im Freundeskreis.
Wie jede Saison war auch diese von sportlichen Misserfolgen durchzogen. Ich hatte im diesigen deutschen Herbst einfach ziellos vor mich hintrainiert. Aus Wut und chronischem Zeitmangel hatte ich viele kurze knackige Läufe absolviert, dann und wann sogar jenseits der Wohlfühlzone. Eckart von Hirschhausen stellte am Vorabend des Marathons sein Glücks-Programm erstmals in Palma vor. Es war ein grandioser Abend mit deutlich mehr Zuschauern. Neid? Niemals. Sportler können gönnen.
Am Nachmittag zuvor hatte mir der Doktor ein paar seiner Erkenntnisse mitgegeben. Die wichtigste: Nimm die Lauferei nicht so ernst. Wenn der Kopf locker ist, werden es die Muskeln auch. Verbissenheit verhindert Glück.
Was bedeuteten diese Weisheiten für mich? Schließlich träumte ich davon, ganz überraschend doch noch mal eine respektable Zeit zu erzielen. Und zwar ziemlich verbissen. Die zehn Kilometer durch Palma erschienen mir ideal, Hirschhausens Theorien in einen Lauf umzusetzen.
Da ich in der Nacht vor Wettbewerben ohnehin nicht viel schlafe, schmiedete ich einen verwegenen Plan. Eines meiner Lebensziele lautet bekanntlich: 10 000 Meter unter 45 Minuten, was 4 Minuten und 30 Sekunden auf den Kilometer bedeutete. Für die halbe Strecke traute ich mir dieses mörderische Tempo sogar zu. Aber was würde auf der zweiten Hälfte geschehen? Laut Dr. Hirschhausen war das der Moment, total locker zu bleiben. Mein Vertrauen in die mobilen mallorquinischen Sauerstoffzelte war grenzenlos. Also heute mal lockerer Größenwahn: Ich beginne die Strecke mit 4:25 Minuten pro Kilometer. Entweder würde ich gnadenlos eingehen, wovon ich innerlich fest überzeugt war, oder eine göttliche Kraft würde mich über die zweite Hälfte befördern, sodass ich bei exakt 44 Minuten und 59 Sekunden durchs Ziel unterhalb der Kathedrale taumeln könnte. Und immer schön locker bleiben.
Ein perfekter Morgen. Ich fühlte mich, als hätte ich unter einer Dampframme genächtigt. Vorsichtshalber kein Blick in den Spiegel. Die spanischen Frühstückshörnchen mit Pudding, Schokolade und Schokoladenpudding sind
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