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Bewegt Euch

Bewegt Euch

Titel: Bewegt Euch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hajo Schumacher
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Pilates.
    In meiner Schnupperstunde wird Partner-Training angeboten, »amrap«, wie der Profi sagt: as many rounds as possible . Zum Kennenlernen erstmals lässiger Griff zur Kugelhantel. Aber das Scheißding ist festgeklebt. Doch nicht, wiegt aber immobile 32 Pfund. Also den kleineren Ball. Lieber hinten raus Gas geben. Einer reißt die Eisenkugel aus der tiefen Kniebeuge ans Kinn, so oft er kann. Bei Kollaps übernimmt der andere. Drei Minuten lang. Fliegender Wechsel zum nächsten Gerät.
    Der Trainer ist vermuskelt wie der junge Arnold, inklusive dezenter Föhnfrisur und niedlicher Zahnlücke. Wo er wohl seinen Schimmel parkt? Schweiß fließt nicht, sondern spritzt aus den Poren. Rumsbums-Mucke dröhnt, dagegen klingt AC/DC wie eine fränkische Trachtenkapelle. Abzüglich Auf- und Abwärmen dauert die Einheit 2 x 4 x 3 = 24 Minuten, wovon der Partner ja auch noch die Hälfte erledigt. Angeber notieren die Zahl ihrer Wiederholungen mit Kreide auf dem Boden. Trotz fortgesetzten Schönrechnens sind wir mit Abstand Letzte. Es gibt zwölf Minuten, die nie vergehen.
    Einsteigen ins Auto geht gerade, Aussteigen kaum noch. Mit den Schneidezähnen die Stufen hochziehen, dabei Treppenliftprospekt blättern. Goldene CrossFit-Regel: Wo Schmerz ist, ist noch Leben.
    Doch was anfangs wie eine Autistenrunde anmutet, ist in Wirklichkeit eine Schicksalsgemeinschaft. Auch die Schlappsten sind im Team. Keine höhnischen Blicke, sondern respektvolles High Five. In der gemeinsamen totalen Erschöpfung versteckt sich ein tiefes Glücksgefühl. Nächste Woche wieder. Aber dann mit den großen Gewichten. Wie Rocky.
    Stadtneurotiker
    Nein, heute nicht. Wirklich nicht. Noch so viel zu tun. Müde. Keine Lust. Nächsten Donnerstag wieder. Bestimmt. Oder? Vielleicht doch. Aber nicht so lange. Also gut. Wie immer um acht. Es wird regnen. Wie jedes Mal. Ja, ich freu mich auch.
    Warum tue ich das?
    Jede Woche das gleiche Spiel. Eigentlich kann ich, will ich, mag ich nicht. Aber dann bin ich doch da. Pünktlich um 20 Uhr an der Goldelse. Mit einem halben Dutzend Verrückter, jeder und jede eine Idealbesetzung für Woody-Allen-Filme. Eine Handvoll Berliner Stadtneurotiker bewältigen ihr karges, verrücktes Leben mit donnerstäglichen 75 Minuten gar nicht mal so gemütlichen Trabs. Es wird geredet, gelacht, geschwiegen. Es ist schrecklich. Es ist herrlich. Ich freue mich immer wieder, auf Menschen, die ich nur in Laufklamotten kenne.
    Nordwand
    Im Sommer lesen wir jeden Tag von Flachland-Tirolern, die in den Bergen in Not gerieten. Manche überleben, manche stürzen ab, in Cargohosen, Sandalen, das Smartphone noch in der Hand. Natürlich regte ich mich über derlei Amateure regelmäßig auf. Bis ich selbst dazu gehörte.
    In einem unserer Alpenurlaube war das Wetter ausgesprochen launisch. Und direkt vor unserem Fenster lag der Furgler, nur um wenige Steine höher als 3 000 Meter. Die Gattin winkte ab. Aber der Große und ich wollten diesen Giganten des Hochgebirges bezwingen. Und der Kleine musste mit. Den ersten Dreitausender mit sechs Jahren – dieser Rekord würde ihn sein Leben lang mit Stoff für Stehpartys versorgen.
    Fairerweise lasse ich nicht unerwähnt, dass uns die Seilbahn auf über 2 000 Meter Höhe shuttelte. Am Himmel heitere Schäfchenwolken, im Rucksack Lunchpakete und ein paar dünne Jacken, an den Beinen kurze Hosen, mittelprächtige Bergschuhe.
    Nach etwa einer halben Stunde mussten wir über einen ersten schmalen Ziegenpfad. Matschige Schneereste überall. Zehn Meter vor uns verlor ein Holländer den Halt und rutschte zehn, fünfzehn Meter in die Tiefe. Ein Stein bremste seinen Sturz. Er blutete. Wir marschierten weiter. Am Furglersee begann leichtes Schneetreiben. Es war Juni. Die dünnen Jacken schützten bestenfalls vor Wind, aber kaum vor kalter Nässe. Noch gut 300 Meter in die Höhe, über glatte Steine.
    Der Große blickte mich unternehmungslustig an. Der Kleine zitterte und wagte nicht, die Euphorie der großen Jungs zu bremsen. Der Schneefall schien weniger zu werden. Wir waren nass und wurden umso kälter, je länger wir verharrten. »Attacke«, sagte ich ohne allzu viel Überzeugung in der Stimme. Es folgte ein Martyrium, für alle von uns. Der Große hob, zog, zerrte den Kleinen Felsen um Felsen in die Höhe. Ich war vorausgeklettert, um so was wie eine Ideallinie zu finden. Der Kleine meckerte nicht mehr, er ließ sein Schicksal über sich ergehen.
    Und ich verfluchte mich insgeheim. Was tust du hier, du

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