Bewegt Euch
Dazugekommene am Freitagabend vor Pfingsten auf irgendeiner norddeutschen Wiese ein, um ihre inzwischen deutlich komfortableren Zelte aufzubauen, die sie aus sehr viel schickeren Autos zerren. Ein Dutzend Kinder tollt herum.
Endlos sind die Geschichten aus über zwanzig Jahren, die jedes Jahr aufs Neue am Feuer die Runde machen, und ständig um neue Unglaublichkeiten bereichert werden: Schlammfußball auf der Bullenwiese, das Kentern am Elektrozaun, die Trennung des frisch verliebten Paares auf dem Wasser, das Liedergurgeln mit Wodka, die Reichskriegsflagge auf einem Campingplatz, wo überwiegend rasierte Dumpfschädel lagerten. Und immer wieder Paddeln, endlose Stunden in brütender Sonne, garstigem Wind, ekligem Regen.
Wir könnten uns im Wellness-Hotel treffen, bei einem Rotweinseminar oder Motorboote mieten. Aber warum? Luxus ist rhythmisches Einstechen der Paddel, das Gleiten über einsame Flüsse, die Mittagspausen in der Wildnis. All diese einzigartigen Momente würden wir bei professionellen Event-Bespaßern nie bekommen. Das gemeinsame, gleichförmige Bewegen schafft ein kollektives Bewusstsein von Auf und Davon, von Wir. Kalte Nässe verbindet, wenn alle sie erfahren.
»Schau, schau, die Schoschonen«, rief mal ein junger Mann vom Ufer, als gerade Der Schuh des Manitu in den Kinos lief. Und genauso fühlten wir uns. Als Stamm unerschrockener Krieger, die dem unerbittlich nahenden Bandscheibenvorfall trotzten und auf dünnen Matten schliefen, durch die man Maulwurfshügel, Äste, jedes Steinchen spürte.
Die jährliche Wiederholung hat über die Jahre einen Schatz an gemeinsam Erlebtem geschaffen. Mal hochernste Gespräche, mal unselige Blödeleien, mal Absingen von »Zehn nackte Frisösen«, dann wieder »Der Mond ist aufgegangen«. Das Paddel ist gleichsam die Achse, um die Freundschaft kreist. Und nächstes Jahr wieder.
Immer wieder Rocky
Eine meiner Trainingskameradinnen ist ein aufgeschlossenes Menschenkind. Während ich Überraschungen eher meide, neigt sie zur Experimentierfreude. Triathlon in der Arktis, Pedale aus der Weltraumforschung, Training mit Olympiateilnehmern – ihr fröhlicher Größenwahn kennt keine Grenzen. Ich höre mir die Geschichten gern an, wenn wir auf unserer Grunewald-Runde radeln, die ich herrlich berechenbar finde, sie dagegen sterbenslangweilig.
Eines Tages war es wieder so weit. »Das musst du machen. Das ist total super. Das machen bald alle.« Sie war beim CrossFit gewesen. Und nun sollte ich auch dorthin. Soweit ich verstand, ging es darum, sich in kürzester Zeit selbst zu erledigen, mit allen Hassübungen aus dem Schulsportunterricht: Liegestütze, Klimmzüge, Medizinballweitwurf. Das ganze Rocky-Programm. Und der unausgesprochene Nachsatz: »Und wenn du nicht kotzt, hast du nicht alles gegeben.«
Nachdem mir versichert wurde, dass nicht nur polygame Berghain-Besucher, sondern auch Männer in den besten Jahren beim CrossFit verkehrten, wagte ich den Besuch. Ich hatte mir ein halbes Dutzend Zipperlein zurechtgelegt, mit denen ich den übelsten Übungen zu entgehen hoffte. Vergeblich.
Bislang dachte ich immer, dass die schlimmste Zeit im Leben eines Ausdauersportlers zwischen der dritten und zweiundsiebzigsten Stunde nach dem Marathon liegt. Aber es geht ärger. Am Tag nach CrossFit. Die Kinder müssen mich aus dem Sessel ziehen. Mona lacht kaum noch, sondern schüttelt nur still den Kopf. Aus Brand- und Stechschmerz ist anhaltendes Milchsäurefiepen geworden. Könnte sein, dass die Muskelfetzen in den Oberschenkeln doch wieder zusammenwachsen.
Ich bin kein Navy Seal und will auch keiner werden. Warum dann diese Quälerei? Es war einfach Leichtsinn, diesen jungen mageren Hüpfern zeigen zu wollen, wo der Elch die Schaufel hat. Das Medizinball-Wuchten ging gerade noch, die Gewichts-Jonglage trieb mich in den roten Bereich, die Sprünge auf den Kasten bedeuteten präletale Übersäuerung, die Burpees muskuläres Armageddon.
CrossFit ist bescheuert genug, um sich umgehend als Trendsport zu etablieren. Wichtig ist eine hammercoole Industrie-Etage, deren Innendesigner sich irre viel Mühe gegeben hat, die Location nicht hammercool aussehen zu lassen. Unterernährte Schönmenschen stieren hammercool auf Eisengeräte, die überall herumliegen. Reckstangen für alle, Trauma des Schulsports. Motto: kein Ingwer, kein Wellness, kein Scheiß. Wer nach 20 Minuten keine Nahtoderfahrung erlebte, hat nicht ordentlich trainiert. Die Antwort auf Mädchensport wie Yoga und
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