Bewegt Euch
Lak in Thailand. Häufig war ich allein, mit diesem leicht beklommenen Gefühl, was wohl wäre, wenn vor mir plötzlich eine Horde Straßenräuber stünde. Natürlich ist nie etwas passiert. Frühsportler in ihren wenigen Klamotten machen offenbar nicht den Eindruck lohnenswerter Opfer. Außerdem sehen sie schnell aus, was aber selten stimmt. Diese leise Furcht, verloren zu gehen, läuft immer mit. Was den Vorteil hat, dass ein blutdruckbedingter Spätstarter überraschend schnell hellwach ist.
Das bisschen Mut, das es braucht, sich in der Fremde zu bewegen, wurde belohnt mit vielfältigen Einblicken. Nichts Großes, aber Neues. In Thailand sah ich jeden Morgen einen Fischer und bestaunte seinen Fang. In Ghana rannten Schulkinder neben mir, in San Francisco lief ich an der Schlange vor einer Armenküche entlang, in Lhasa traf ich auf Mönche, die mit ihren Reisschüsseln unterwegs waren. Die meisten dieser Menschen beachteten mich nicht, manche winkten, andere kicher ten, aber nie begegnete mir Feindseligkeit. Wenn ich nach Hause kam, waren meine Frau und die Jungs gerade aufgewacht. Und ich? Hatte geguckt und manchmal geschwatzt, ich hatte am Pier gesessen, auf einer Parkbank oder im Sand.
Meine Frau wunderte sich, wenn ich wenig später plötzlich unbekannte Menschen grüßte. »Wer war das?«, fragte sie verdutzt. Und ich antwortete: »Der Fischer von heute Morgen.«
Du darfst
Abb. b
Ein bisschen Abwechslung muss sein, gestern war ich bei Burger King.
Faris Al Sultan, Hawaii-Ironman-Sieger 2005
Als Hauptstadt-Journalist bin ich einigen Konventionen unterworfen. Anzug ist oft Pflicht, manchmal Krawatte, einigermaßen benehmen, das übliche Korsett halt aus sozial erwünschtem Wohlverhalten.
Wenn ich in Nadelstreifen durch den Tiergarten Richtung Regierungsviertel radele, dann sehe ich im Park Läufer, Tai-Chi-Praktizierende, Jonglierer, Fußballer, Frisbee-Spieler. Umgehend steigt Neid auf. Spätestens heute Abend springst du da auch umher, nehme ich mir vor. Und manchmal klappt es sogar.
Ich schätze das ausgelassene Herumtollen, vor allem aber das Fehlen von Konventionen. Wir grinsen zwar über Männer in Strumpfhosen, über resolute Damen mit ihren Walking-Prügeln und den leptosomen Studenten, der sich als Fahrradkurier verkleidet hat. Aber wir akzeptieren, dass Menschen in Bewegung seltsam aussehen. Die Style-Polizei hat frei.
Sobald ich mich in meine farblich gewagt zusammengestellten Sportklamotten begeben habe, genieße ich die große Freiheit: Ich darf in kurzen Hosen umherrennen. Ich darf schwitzen. Ich darf verstrubbelt aussehen. Ich darf mir an einem Brunnen das kühle Nass ins Gesicht schippen oder eine Flasche Wasser über dem Kopf leeren. Ich darf schnaufen und prusten. Und in den Wald pinkeln darf ich auch, wenn keiner guckt. Bewegen ist Freiheit, in vielerlei Hinsicht. Millionen Menschen quälen sich mit ihrem Gewicht, rechnen die Punkte ihres Käsebrötchens aus und müssen sich von den anderen Weight Watchern auch noch ausbuhen lassen. Mir egal. Seit Monaten habe ich nicht mehr auf einer Waage gestanden.
Meine größte Freiheit aber ist das Nickerchen. Im Büro wartet eine karge Pritsche. Eine Viertelstunde mittags genügt mir, um wieder am Leben teilnehmen zu können, wenn ich morgens um halb sieben gerannt bin. Ich darf das. Basta.
Leg dich hin
Schlafe wie ein Hausschwein.
Sportmediziner Matthias Marquardt
Mein Vater hatte Schrullen. Sah er mich mit den Händen in den Hosentaschen, war es um seine Beherrschung geschehen. Barsche Frage: »Hast wohl nichts zu tun?« Nickte ich frech, musste ich mich umgehend ducken, um einer Backpfeife zu entgehen. Die vollständige Ausschöpfung des Arbeitstages zum Zweck maximaler Produktivität ist kein Phänomen der iÄra. Müßiggang gilt in weiten Teilen Deutschlands seit jeher als Gotteslästerung. Arbeit legitimiert Leben.
Es gehört zu den Paradoxien unserer Zeit, dass wir oft das Gegenteil dessen erreichen, was wir wollen. Wer fitter, klüger, kreativer arbeiten will, muss Tempo und Umgebung wechseln, vor allem aber auf ausreichend Erholung achten. Nur in der Ruhe wachsen Muskelfasern und Synapsen. Dass noch mehr Anstrengung noch mehr Erfolg bringt, ist Unsinn.
Das Problem: Arbeit kann man messen, die Produktivität der Ruhe dagegen ist kaum zu quantifizieren, sie kommt aber provozierend daher. Wer die Hände in den Hosentaschen trägt, diskreditiert sich für die hyperaktive Gesellschaft.
Ruhemangel, sagen Physiologen, sei eine der
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