Bewegt Euch
garantiert.
Hier hilft mir mein gelassener Freund Achim mit einem seiner Lieblingssätze: »Guck dir das doch erst mal einfach an.« Vielen Dank auch. Wie soll ich gelassen beobachten, dass ich gerade eine Sauwut habe? Klappt natürlich nicht, jedenfalls nicht in diesem Moment. Aber eine halbe Stunde später, im Auto zurück nach Hause, ereilen mich häufig Momente der Erkenntnis: Ach, das läuft wieder mal schief. Ist das nicht dasselbe Muster wie schon vor vier Wochen?
Mag das Bewegen keine Lösungen liefern, so funktioniert doch meist die Lupe. Warum auch immer, aber vor allem beim Schwimmen werden mir Gefühle sehr viel deutlicher als am Schreibtisch. Vielleicht, weil es allein im Wasser keine Auswege gibt, Ausflüchte oder Ausweichmanöver.
Im Bewegen habe ich Emotionen erlebt, die ich mir gar nicht zugetraut hätte. Von brennendem Ehrgeiz bis zu totaler Lethargie, von maximaler Euphorie bis in die tiefste Trauer – nicht alles immer gern, aber intensiv. Weil es echt war.
Saubermachen
Wenn ich mich zwei Tage nicht bewegt habe, fühle ich mich schmutzig.
Michael, Musik-Manager
Viele Anreizsysteme funktionieren nach dem Prinzip Warten. Ich muss sparen, manchmal ein Leben lang, um eines fernen Tages vielleicht an eine fiktive Summe zu gelangen. Für den schicken Rollkoffer aus dem Airline-Katalog muss ich jahrelang Meilen sammeln. »Sofortgewinne« erweisen sich durchweg als Lüge.
Bewegen ist das Gegenteil von Lebensversicherung: Ich werde sofort belohnt. Schon unter der Dusche kommt dieses Gefühl von Sauberkeit. Aus den Poren quellen die Sünden der vergangenen Nacht, das klebrige Zeug hat sich vom Gaumen gelöst. Die Atemwege sind frei, der Körper hat sich gelockert und entspannt. Statt Erschöpfung herrscht Stolz in jeder Zelle.
Bewegen ist mein Reinigungsritual, so wie die Schwitzhütte der Indianer, wie die Puja der Hindi. Was soll ich mit all den Erkenntnissen der Wissenschaft über Langzeiteffekte und ein hundert Jahre währendes Leben? Mir geht es gut, gleich danach. Für Anfänger ist dieses Sofortglück spürbar größer. Wer sich drei, vier Mal aufgerafft hat, mit dem Rad ins Büro zu fahren, den Aufzug zu verschmähen oder morgens um den Block zu wetzen, der spürt die Form steil ansteigen.
Ob das alles gesund ist? Keine Ahnung. Im Frühjahr fliegen die Pollen, im Seewasser schwimmen Koli-Bakterien, beim Laufen schubbert der Meniskus, und beim Reifenwechsel habe ich mir den Daumen verstaucht. Na und? Bewegen reinigt – das allein zählt.
Wenn die Gene lernen
Die Gene sind kein Schicksal, sondern wunderbar wandelbar.
Jörg Blech im Spiegel -Text »Das Gedächtnis des Körpers«
Meine DNA entscheidet angeblich über alles: wie alt ich werde, wie dick ich bleibe, wie klug, wie sportlich ich durchs Leben komme. Allenfalls mit heidiklumscher Disziplin lässt sich die Macht der Gene ein wenig bremsen. Eine gute Erklärung, warum mein Leben so eigenartig verläuft. Kann man nichts machen.
Ist aber falsch. Es gibt starke Hinweise, dass unser Erbgut ein lernendes System ist, mehr aktive Steuerzentrale als statischer Plan, immer bestrebt, neue Informationen aufzunehmen und einzubauen.
Was der Mensch isst, was er fühlt, was er erlebt, scheint sich unmittelbar in der DNA niederzuschlagen, und zwar relativ schnell. Die Physiologin Juleen Zierath hat vierzehn unsport liche Jugendliche auf ein Ergometer gesetzt und strampeln lassen. Die Wissenschaftlerin am Karolinska-Institut in Stockholm entnahm den jungen Menschen winzige Muskelstücke aus den Schenkeln, um zu prüfen, was das ungewohnte Training bei ihnen bewirkte.
Die überraschende Erkenntnis: Schon nach 20 Minuten Radfahren hatte sich das Erbgut in den Muskeln verändert. An Genen, die am Stoffwechsel bei Bewegung beteiligt sind, waren Methylgruppen verschwunden. Diese Methylgruppen wiederum wirken wie Handlungsanweisungen für den Organismus. Laienhaft ausgedrückt: Gene mit Methyl-Markierung werden vom Körper nicht gelesen, sie ruhen. Gene ohne Methyl-Markierung wiederum aktivieren den Organismus.
Der ungewohnte Sport hatte, zumindest vorübergehend, die Erbinformation der Probanden verändert, jenen Bauplan, der bislang als unveränderlich galt. Welcher Typus sich wie oft und wie lange bewegen muss, damit es zu einer dauerhaften Veränderung in der DNA kommen könnte, wird Gegenstand vieler weiterer Experimente sein.
Die revolutionäre Erkenntnis dieser Studie lautet: Bewegung macht sich sofort im Körper bemerkbar. Und zwar nicht
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