Bewegt Euch
Fehlermachen. Und die Wissenschaft gibt mir recht. Der britische Naturwissenschaftler Tim Harford hat den Wert dieser Fähigkeit in seinem Buch Adapt mit zahlreichen Beispielen untermauert. Harford begegnet der Planungshörigkeit von Experten, Politikern oder Trainern mit größter Skepsis. Er plädiert dafür, dem Ausprobieren zu vertrauen, im Wissen, dass Scheitern dazugehört. »Erfolg beginnt immer mit Misserfolgen«, sagt Harford. Fortschritt bedeutet Mut zum Fehler und die Bereitschaft, daraus zu lernen.
Freizeitsportler wissen, dass der Mann recht hat. Die Welt ist einfach zu komplex, als dass sie sich in Excel-Tabellen oder 10-Punkte-Pläne pressen ließe. Es gilt, was der Philosoph Carl Popper formuliert hat: Eine Erkenntnis gilt nur so lange, bis sie komplett oder in Teilen widerlegt ist. Ewig gültig ist allein die Skepsis, die innere Kraft, alles immer wieder infrage stellen zu wollen. Insofern sind die folgenden Lehren als meine ganz persönlichen zu verstehen, die keinesfalls Anspruch auf irgendeine Gültigkeit erheben, aber als Anregungen vielleicht nicht ganz nutzlos sind.
Die Hälfte reicht
Immer versucht. Immer gescheitert.
Einerlei. Wieder versuchen.
Wieder scheitern. Besser scheitern.
Samuel Beckett
Das größte Gift für Bewegungs-Novizen ist ihre überschäumende Euphorie. Wer zum ersten Mal in seinem Leben 30 Mi nuten am Stück getrabt ist, dreht garantiert durch: Berlin- Marathon, Hawaii-Triathlon und die 100 Kilometer von Biel obendrauf, am besten noch in diesem Jahr. So war ich auch mal. Wenn die Verletzungen langsam abgeklungen waren, blieb Enttäuschung.
Die Erwartungen an mich waren stets zu groß, die Zeitpläne zu ambitioniert, die vermuteten Rahmenbedingungen gnadenlos schöngefärbt. Ich war ein zuverlässiges Opfer meines Größenwahns. Mindestens 90 Minuten laufen, dafür aber zügig. Im Urlaub fünf, sechs, acht Alpenpässe mit dem Rennrad hoch, keiner unter 2 500 Meter und in Tour-Etappen auf Unmenschlichkeit erprobt.
Das Resultat aus Viel-Wollen ist Viel-Scheitern. Und die völlig falsche Reaktion darauf lautet: Noch-Mehr-Wollen. »Ziele runter«, empfiehlt der Motivationsexperte Dr. Gerhard Huhn.
Nach eineinhalb Jahrzehnten habe ich endlich eingesehen: Ich spinne. Für mich gilt inzwischen: Ziele halbieren, Vorbereitungszeit verdoppeln. Übersetzt auf einen Marathon hieße das: nicht in drei Monaten 42 Kilometer, sondern in sechs Monaten einen Halbmarathon schaffen. Schlagartig wächst die Lebensqualität. Der Druck schwindet, Spaß kommt.
Verletzungen sind widerlich, aber gute Lehrmeister. Bei mir ist es der Illiopsoas, ein Muskel, der in der Beckengegend festgemacht ist und sich durch den hinteren Oberschenkel Richtung Knie windet. Die wenigsten Menschen wissen überhaupt, dass sie diesen Genossen im Leib tragen. Ich habe es schmerzhaft gelernt. Mein Freund, der Psoas, ist mein Indikator für Zuviel, Zulange, aber auch Zuwenig. Zu viel Herumgerenne, zu wenig Schlaf, zu wenig Rücksicht. Mein Psoas hat mir beigebracht, dass Bewegung auch unterhalb der Erschöpfungsgrenze schön sein kann. Ich vermute, er arbeitet mit Achim zusammen.
Sportsfreunde
Denken wir uns die Grenzen weg.
Sportfreunde Stiller, »International«
Als Medienmensch bin ich viel unterwegs, auf Konferenzen, Seminaren oder Sektglasschwingereien. Der klassische Smalltalk läuft meist nach den Regeln eines Töpperwien-Interviews ab. Einer fragt: »Und?«, der andere entgegnet: »Muss ja.« Worüber soll man auch reden? Politik? Langweilig. Wetter? Auch nicht besser. Was bleibt? Sport.
Faszinierend, wer alles aufblüht, wenn es um die eigenen Leibesübungen geht. Ob Nachbarn oder Prominente – ein Schwätzchen über kleine Verletzungen, große Pläne und erhebende Zieleinläufe bringt Menschen zusammen.
Es mag daran liegen, dass im Breitensport die gesellschaftlichen Hierarchien nicht gelten. An Schuhen oder Turnhose ist der Jahresverdienst kaum abzulesen. Was Sozialismus und Kapitalismus nie geschafft haben, bringt der Freizeitsport zustande: Gleichheit und Wettbewerb. Ein viel beschäftigter Manager hat die gleichen Probleme, sich Trainingszeiten freizukämpfen wie eine alleinerziehende Mutter. Jeder, der im Wald unterwegs ist, der ahnt, dass die anderen, die ihm begegnen, sich ebenfalls überwinden, um hinterher glücklich unter der Dusche zu grinsen. Anfänger und Weltmeister sind nach einem anstrengenden Training gleichermaßen kaputt.
Bewegen ist eine der universellen Sprachen dieser Welt,
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