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Bewegt Euch

Bewegt Euch

Titel: Bewegt Euch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hajo Schumacher
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Marathontraining in meinem derzeitigen Leben vielleicht alle drei Jahre mal untergebracht. Ein weiterer Lerneffekt: Ich lernte, den Kompromiss zu lieben.
    Wir Deutschen hängen ja dem Mythos der Kompromisslosigkeit an, egal ob bei Fußballverteidigern, Musikern oder Basta-Politikern. Einer, der sein Ding durchzieht, genießt unseren Respekt. Die gefühlte Halbheit des Kompromisses ekelt uns an, wahrscheinlich, weil wir uns dauernd damit arrangieren müssen.
    Für das tägliche Quantum Bewegen ist der Kompromiss ausgesprochen hilfreich. Warum soll ich mein Schreiben unterbrechen, wenn es gerade läuft, nur weil ich mir vor drei Tagen vorgenommen habe, in diesem Moment nach draußen zu gehen? Werde ich eben eine andere Möglichkeit finden.

In Würde verfallen

    Abb. c
    Alles Leben ist Bewegung, Bewegung ist Leben.
    Leonardo da Vinci
    Es begann mit der Stretchjeans. Unauffällige Blicke im Drogeriemarkt auf die Colorier-Produkte. Wie war das bei Schröder? Getönt? Gefärbt? Verklagt. Die Granufink-Werbung übersehe ich verbissen, aber Sonderteile von Männermagazinen über die Möglichkeiten der restaurierenden Chirurgie gucke ich gerne durch. Es muss ja nicht gleich ein Sixpack-Implantat sein. Aber es könnte. Inzwischen gefällt mir Rocky VI am besten.
    Jürgen erzählte neulich, er brauche eine neue Hüfte. Thomas macht jetzt Yoga. Ich habe Herbstgold gesehen, einen Film über Leichtathleten zwischen achtzig und hundert Jahren, die für die Senioren-Weltmeisterschaft trainieren.
    Ja, ich habe höllische Angst vor dem Alter. Niemand, der die Jahre jenseits der sechzig durchlebt, sagt irgendetwas Mutmachendes darüber. Noch kann ich meine Kinder beeindrucken, wenn ich zwei Stunden lang beim Deichkind-Konzert herumhüpfe. Ob ich mit dem Rollator überhaupt noch reinkomme?
    Mobilitäts-Autonomie ist das höchste Gut des Senioren daseins. Wer sich bewegen kann, am besten in halbwegs ansehnlichen Klamotten, dem wird ein Mindestmaß an Respekt zuteil. Beim Velothon 2012, dem Berliner Rennradspektakel für Hobby-Armstrongs, ist ein Herr mit achtzig Jahren aus dem Sattel gefallen. Tot. Einfach so. Großartig. Gestorben bei dem, was er am liebsten tat, was ihm Anerkennung verschaffte. Gibt es einen schöneren Tod für einen Cowboy, als vom Pferd zu kippen?
    Wer sich im Alter bewegt, der kümmert sich um den eigenen Körper, idealerweise auch um Regionen, an die man man gels Gelenkigkeit nicht mehr so einfach gelangt. Wer sich bewegt, hält Kontakte, Spannkraft, das Leben im Leib.
    Bewegung ist außer Musik, Film und Theater wohl die einzige stabile Brücke zu etwas Würde im letzten Lebensdrittel. Superlightweight-Runner sehen an Senioren cooler aus als leberwurstfarbene Gesundheitsschuhe. Es gibt einen dynamischen Schick jenseits der Plastikjacke mit Wolfspfote. Omas, die durch den See kraulen, Opas, die im Wilmersdorfer Stadion ihr Sportabzeichen machen, gut gelaunte Mountainbike-Geschwader, die durch den Grunewald brechen – sie alle haben ihren Spaß und verschaffen sich Respekt.
    Weil ich kaum die Geduld aufbringen werde, ein Instrument bis zur Vortragsreife zu lernen, bin ich ans Bewegen gebunden. Ich werde in Würde verfallen – und wenn ich Rennen mit meinem Pflegebett fahre.

Emotionsgewitter

    Heulen kannst du im Ziel.
    Läuferin Sonja
    Zu den hartnäckigsten Legenden, die sich um Bewegung an der frischen Luft ranken, gehört der freie Kopf. Angeblich lassen sich Verstimmungen, Wut, Zorn, Eifersucht, Jobkrise und Ehekrach mit ein wenig Herumgelaufe im Freien spielend bewältigen. Unsinn.
    Richtig ist, dass eine halbe Stunde kontinuierliches Bahnenziehen im Schwimmbad eine beruhigende Wirkung hat. Das Wasser kühlt den Körper und das Hirn, Geräusche werden gedämpft, Schutzschicht. Wütend in die Pedale zu treten dient dem Aggressionsabbau, schon durch schiere Erschöpfung. Und eine lange Folge rhythmischer Paddelschläge kann die Nerven beruhigen, auch deswegen, weil kein Netzempfang da ist.
    Es wäre allerdings naiv, die Gleichung Bewegung = innerer Friede zu idealisieren. Wegrennen funktioniert nicht. Probleme lassen sich in einer Stunde Waldesruhe sicher ordnen. Aber ein Lösungsautomatismus besteht nicht, im Gegenteil. Oft habe ich mich in Rage gerannt.
    Mochte ich anfangs auf einen Menschen nur ein wenig sauer sein, so hätte ich ihn nach einer Stunde auf dem Rennrad womöglich gelyncht, wenn er mir begegnet wäre. Bewegen ändert Gefühle nicht nur, sondern verstärkt sie auch. Emotionsgewitter

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