Bewegungswissenschaft
Ballsportarten über ein gut ausgeprägtes „Ballgefühl“.
Nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand der Differentiellen Psychologie (Persönlichkeitsforschung) unterliegen motorische Verhaltensweisen und Leistungen nicht nur speziellen zentralnervösen Kontrollmechanismen, sondern auch den motorischen Eigenschaften des Individuums, den so genannten motorischen Fähigkeiten. Die fähigkeitsorientierte Denkweise der Differentiellen Motorikforschung zählt mittlerweile zum festen Bestandteil der Bewegungswissenschaft und der Sportpraxis. Trotz des hohen Stellenwerts des sportlichen Koordinationstrainings müssen Sportlehrer, Trainer und Übungsleiter zur Lösung der komplexen Problemstellungen der zielgerichteten Ausbildung der koordinativen Fähigkeiten ihrer Schüler und Athleten mehrheitlich auf eigene Vorstellungen und Erfahrungen zurückgreifen. Die theoretische und empirische Befundlage über die „Wurzeln“, die Anzahl, die Art und die psychologischen und neurophysiologischen Korrelate der koordinativen Fähigkeiten ist mehr oder weniger widersprüchlich. Dies hat zur Folge, dass den Gegenstandsbereich der koordinativen Fähigkeiten nur schwer überschaubare, nicht übereinstimmende und verwirrende Begriffssystematiken prägen.
1 Was ist von dieser Lektion zu erwarten?
Lektion 2 thematisiert die zentralen Problemstellungen der Analyse und des Trainings der koordinativen Fähigkeiten: Warum verfügt die Bewegungswissenschaft des Sports nur über sehr wenige grundlegende Kenntnisse hinsichtlich der spezifischen Struktur und Inhalte der koordinativen Fähigkeiten? Inwieweit lassen sich verschiedene koordinative Teilfähigkeiten voneinander abgrenzen? Welche speziellen Eigenschaften befähigen den Menschen zu hohen koordinativen Leistungen? Wie ist das sportliche Koordinationstraining grundsätzlich zu gestalten?
Kapitel 2 beschäftigt sich mit den bewegungswissenschaftlichen Vorstellungen über die Struktur und die Inhalte der koordinativen und informationell determinierten Fähigkeiten. Die wissenschaftliche Suche nach einem verlässlichen Ordnungsraster der vielfältigen koordinativen Leistungsfaktoren gestaltet sich ausgesprochen schwierig (Kap. 3). Nahezu jeder an der Erforschung der koordinativen Fähigkeiten beteiligte Wissenschaftler favorisiert eine eigene theoretische oder sportpraktische Suchstrategie, die zu unterschiedlichen Inhalten und Zusammenhängen der koordinativen Konstrukte führt. Was vorherrscht, sind zahlreiche heterogene Aufgaben- und Anforderungsklassen koordinativer Fähigkeiten. Das in der Differentiellen Motorikforschung entwickelte empirische Testverfahren zur Erfassung des Ausprägungsgrades einzelner koordinativer Fähigkeiten – der sportmotorische Test – erläutert Kapitel 4.
Zur Schulung der koordinativen Fähigkeiten bestehen nur wenige verlässliche theoretische Grundlagen. Die in sportwissenschaftlichen Publikationen vereinzelt angeführten praktischen Gestaltungshinweise für das Koordinationstraining lehnen sich mehrheitlich an die gebräuchlichen Vermittlungsstrategien der Aneignung sportmotorischer Fertigkeiten an. Zurückgegriffen wird auf sicher beherrschte, einfache Bewegungstechniken, die zielgruppenspezifisch unter erschwerten koordinativen Zusatzaufgaben ungewohnt variiert werden (Kap. 5). Die lückenhafte Befundlage über die koordinativen Konstrukte und das Grundproblem des Denkansatzes des Fähigkeitsparadigmas der Differentiellen Motorikforschung diskutiert das Schlusskapitel (6).
2 Welche Begriffe sind grundlegend?
Koordinative Fähigkeiten bezeichnet die Bewegungswissenschaft des Sports als spezifische Leistungsvoraussetzungen des Zentralnervensystems für die Bewältigung einer bestimmten (sport-)motorischen Anforderungsklasse. Inhaltlich charakterisieren die nicht direkt beobachtbaren (latenten) koordinativen Fähigkeiten sowohl die Prozesse der Aufnahme, der Verarbeitung und der Speicherung von Informationen alsauch die zentralnervösen Kontrollvorgänge. S INGER (1994) und R OTH (1999) betrachten die koordinativen Fähigkeiten als interindividuelle Unterschiede im Ausprägungsgrad technikübergreifender zentralnervös-koordinativer Kontroll- und Funktionsprozesse. Die koordinativen Fähigkeiten befähigen den Menschen, motorische Handlungen in bekannten oder nicht vorhersehbaren Situationen sicher, effektiv und ökonomisch zu realisieren.
Die Bewegungswissenschaft belegt die koordinativen Fähigkeiten üblicherweise anhand von inter- und
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