Bewegungswissenschaft
intraindividuellen Leistungsunterschieden oder intraindividuellen Homogenitäten im Bewegungsverhalten. Die empirisch-analytischen Kenntnisse der Differentiellen Motorikforschung weisen darauf hin, dass die koordinativen Fähigkeiten genetisch nicht festgelegt, sondern lediglich dispositioniert sind und in jedem Lebensalter lohnend trainiert werden können. Die Entwicklung und die Festigung der koordinativen Fähigkeiten verlangt die wiederholte Bewältigung ähnlicher koordinativer Bewegungsanforderungen in Wechselbeziehungen mit den anlagebedingten Besonderheiten, den zentralnervösen Regulationsprozessen und den konditionellen sowie psychischen Fähigkeiten des Individuums.
Die interindividuellen Differenzen im motorischen Lernen ergeben sich aus dem komplexen Zusammenwirken verschiedener koordinativer Teilfähigkeiten. „Die Summe der gut ausgeprägten koordinativen Fähigkeiten entscheidet über den Lernerfolg beim Neulernen und Ausformen [Optimieren] von Bewegungen“ (R IEDER & L EHNERTZ , 1991, S. 92). Hieraus folgt, dass Menschen mit herausragenden koordinativen Fähigkeiten unterschiedliche sportmotorische Fertigkeiten sehr gut realisieren können. Darüber hinaus erleichtern gut ausgebildete koordinative Fähigkeiten maßgeblich die Aneignung neuer Sporttechniken. Umgekehrt zeigen Personen mit geringen koordinativen Fähigkeiten eher schlechte Leistungen im Sport. Die Annahme der überaus engen wechselseitigen Beziehung zwischen der motorischen Leistungsfähigkeit und dem koordinativen Fähigkeitsniveau – die in der bewegungswissenschaftlichen Literatur variantenreich formuliert wird – spiegelt sich in den Begriffen motorische Lernfähigkeit, Anpassungs- oder Umstellungsfähigkeit wider.
Zur Differenzierungshypothese der koordinativen Fähigkeiten , d. h. zu einem bedeutsamen Problem der Bewegungswissenschaft und der Sportpraxis, inwieweit es eine übergreifende oder bereichsspezifische (sport-)motorische Lernfähigkeit(en) gibt, besteht ein wenig ausgeprägtes theoretisches und empirisches Wissen.
Aus der Sicht der prozessorientierten Forschung zur motorischen Kontrolle ( vgl. Lektion 6 ) scheint es nahe liegend, von einem engen Zusammenhang zwischen densportmotorischen Leistungen und dem Ausprägungsgrad der informationell determinierten Fähigkeiten auszugehen. Nach den Vorstellungen der Informationsverarbeitungsansätze gleicht der Mensch einem ausgiebigen Informationsverarbeiter, der ständig Informationen aus dem Körperinneren und der Umwelt aufnimmt. Die wahrgenommenen Informationen setzt das Individuum mit seinem Wissen und seinen Erfahrungen in Beziehung, um hieraus situationsadäquate motorische Handlungen abzuleiten ( vgl. Lektion 6 ). Der Zeitbedarf für derartig komplexe Informationsprozesse hängt von den qualitativen und quantitativen Reizmerkmalen, der Anzahl möglicher Reiz-Reaktionsalternativen, der Reiz-Reaktionskomplexität und der Reaktionskomplexität ab. Informationell determinierte Fähigkeiten betrachtet die sportbezogene Bewegungswissenschaft nicht explizit als eigenständiges Fähigkeitskonstrukt, sondern im Rahmen der koordinativen Fähigkeiten und der Schnelligkeitsfähigkeiten.
3 Wie werden koordinative Fähigkeiten systematisiert?
Während die Systematik der konditionellen Basisfähigkeiten – mit der Differenzierung in Kraft- und Ausdauerfähigkeiten – relativ einheitlich und weithin akzeptiert vorliegt (Überblick: W EINECK , 2004), verweist die Erforschung der Struktur der koordinativen Leistungsfaktoren auf eine sehr widersprüchliche Geschichte mit großen terminologischen und inhaltlichen Differenzen. Bewegungswissenschaftler erschließen die koordinativen Teilkomponenten mehrheitlich durch subjektive Beobachtungen oder sehr spezielle, autorenbezogene Testverfahren. Als unmittelbare Folge liegen sehr unterschiedliche Bezeichnungen und Abgrenzungen der koordinativen Fähigkeiten vor. Die in Tabelle 3 aufgeführte Begriffssammlung stellt einen kleinen Ausschnitt der häufig zitierten, keineswegs eindeutig abgegrenzten und nicht allgemein akzeptierten Begriffe dar.
Tab. 3: Begriffssammlung für den Gegenstandsbereich der koordinativen Fähigkeiten
Anpassungsfähigkeit, Antizipationsfähigkeit, Auge-Fuß-Koordination, Auge-Hand-Koordination, Ausdrucksfähigkeit, Bewegungsgefühl, Differenzierungsfähigkeit, Drehsinn, Elastizität, Entfernungsschätzen, Entspannungsfähigkeit, Geschicklichkeit, Geschmeidigkeit, Gewandtheit, Gleichgewichtsvermögen,
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