Bewegungswissenschaft
Rückschlagspiele oder die Bewegungsfolgen in den asiatischenKampfsportarten angemessen festzulegen. Auf Grund des hohen Zeitbedarfs der (re-)afferenten Verarbeitungsprozesse (120-200 ms) stehen die Rückmeldungen über die Bewegungsausführung erst nach dem Bewegungsende für mögliche Korrekturen zur Verfügung.
Untersuchungen über die Veränderung sensorischer Rückmeldungslatenzzeiten bestätigen, dass periphere Feedbackprozesse keine notwendigen Voraussetzungen für die Bewegungskontrolle darstellen. Auftretende Abweichungen von der vorgesehenen Bewegungsausführung kann der Mensch trotz der nachgewiesenen Mindestverarbeitungszeiten von ca. 120 ms für kinästhetische, von ca. 170 ms für akustische und von ca. 190 ms für visuelle Feedbackschleifen in weniger als 90 ms korrigieren (Überblick: W ULF , 1995).
Wahlreaktionszeitexperimente weisen darauf hin, dass mit der Erhöhung der Bewegungskomplexität die Reaktionszeit signifikant ansteigt ( vgl. Lektion 6, Kap. 2 ). Eine übliche Erklärung dieses Phänomens besteht darin, dass komplexe Fertigkeiten der Erzeugung umfassender Bewegungsprogramme bedürfen, und dass die Reaktionszeit unmittelbar von der Anzahl der sukzessiv oder simultan auszuführenden Bewegungselemente und der Länge der Programmierungszeit abhängt. R OTH (1989) und W OLLNY (1988) belegen mittels einer Variante des Wahlreaktionszeitverfahrens, der Precuing-Methode zur Einschätzung von Entscheidungsprozessen, dass die Veränderung der Wahlreaktionszeit bei Techniken aus dem Basketball, Handball, Hockey und Tischtennis in direkter Abhängigkeit zum Umfang der Vorinformationen über die Bewegungsausführung steht. Vorkenntnisse über einzelne Bewegungsparameter (Bewegungszeit, absoluter Krafteinsatz, Bewegungsrichtung, Auswahl bestimmter Körperextremitäten usw.) führen dann zu einer Verkürzung der Wahlreaktionszeit, wenn die auszuführende Bewegungsfertigkeit vorab bekannt ist.
Doppeltätigkeits-Interferenzexperimente von H EUER und M ERZ (1979) und N EUMANN (1985) zeigen, dass mit zunehmender Übung und motorischer Automatismenbildung die wechselseitigen negativen Beeinflussungen zweier ähnlicher, simultan ausgeführter Bewegungsmuster abnehmen. Zu Beginn des Lernprozesses greifen beide Tätigkeiten möglicherweise auf dieselbe zentralnervöse Gedächtnisstruktur zurück. Im Verlauf des motorischen Übens entwickelt sich für die beiden Bewegungshandlungen ein jeweils spezifisch ausgerichtetes Bewegungsprogramm, das für die Kontrolle der anderen motorischen Fertigkeiten scheinbar nicht genutzt wird.
Invarianzstudien von M AKARENKO (1978), S CHMIDT (1980a, b), S HAPIRO , Z ERNICKE , G REGOR und D IESTEL (1981), S UMMERS , S ARGENT und H AWKINS (1984), R OTH (1989) und W OLLNY (1993) identifizieren invariante zeitliche und dynamische Relationen in der Bewegungsausführung, welche die Grundstruktur einer bestimmten Bewegungsfertigkeit nachweislich bestimmen.
5.1 Welche Informationen beinhalten motorische Programme?
Im Mittelpunkt des nachfolgenden Unterkapitels stehen die fassettenreichen Annahmen über die möglichen Inhalte motorischer Programme. Thematisiert werden die biologischen Oszillatoren, die Impuls-Timing-Idee, die Bang-Bang-Bewegungssteuerung und das Masse-Feder-Modell.
Biologische Oszillatoren
In bestimmten niederen Hirnabschnitten, im Rückenmark und in den peripheren Arealen der motorischen Neurone liegen selbstregulierende neuronale Netzwerke, so genannte biologische Oszillatoren (syn. Spinalgeneratoren, Mustergeneratoren; vgl. Abb. 22 a). Die Neurone eines biologischen Oszillators können sich in Form eines Kreisprozesses kontinuierlich selbst erregen, wenn der Oszillator durch einen Reiz aktiviert wird (G RILLNER , 1975, 1990). Durch die Übertragung der nervalen Erregung auf agonistisch-antagonistisch arbeitende Muskeln kann der Oszillator eigenständig zyklische Bewegungen wie das Gehen, das Laufen, das Schwimmen oder das Rudern kontrollieren.
Abb. 22: Bewegungssteuerung mittels biologischer Oszillatoren
a ) Struktur eines Oszillators (mod. nach S CHMIDT & W RISBERG , 2000, S. 134)
b ) Oszillatorenmodell für die Gangart (mod. nach S CHMIDT , 1988, S. 205)
Ein im Rückenmark lokalisierter Oszillator könnte beispielsweise aus vier Neuronen bestehen, die den Flexor und den Extensor zeitlich abgestimmt erregen ( vgl. Abb. 22 a). Vorstellbar ist, dass durch einen körperinternen biochemischen oder bioelektrischen Reiz zunächst das Neuron 1 erregt wird, das
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