Bewegungswissenschaft
behavioristischen Reiz-Reaktionstheorien und das Konzept des Lernens am Modell vor. Die im angloamerikanischen Sprachraum bis Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelten lernpsychologischen Ansätze der klassischen Verhaltensforschung greift das vorliegende Lehrbuch deshalb auf, weil ihre theoretischen Grundlagen zum einen spezielle Empfehlungen für die Schulung der elementaren motorischen Fertigkeiten begründen. Zum anderen gelten Reiz-Reaktionstheorien als die historischen „Wurzeln“ der in Lektion 6 exemplarisch behandelten, sehr erfolgreichen Informationsverarbeitungsansätze.
Kapitel 2 erläutert neben den Begriffen Glauben, Wissen, Meinung und Lernkurve die Merkmale einer idealen wissenschaftlichen Theorie und die Systematisierung der lernpsychologischen Grundformen der Aneignung einfacher Bewegungsfertigkeiten. Unter der Leitfrage Wie funktioniert die „Lernmaschine Mensch“? grenzt Kapitel 3 idealtypisch verschiedene traditionelle Lernkonzepte voneinander ab. Hierzu zählen die kontiguitätstheoretische (klassische Konditionierung), die verstärkungstheoretische (instrumentelle und operante Konditionierung) und die sozialkognitive Position (Lernen am Modell). Eine Beschreibung der bis zum Vorschulkindalter (6./7. Lebensjahr) bewährten methodisch-didaktischen Vermittlungsverfahren der Aneignung elementarer motorischer Fertigkeiten – das Shaping (stufenweise Annäherung an die Zielfertigkeit), das Chaining (Verkettung beherrschter Teilbewegungen) und die gezielte Darbietung von Modellverhalten – findet der Leser in Kapitel 4. Wie in den vorausgehenden Lektionen fasst das Abschlusskapitel die wichtigsten Inhalte zusammen und geht auf die Hauptunterschiede zwischen der klassischen, instrumentellen und operanten Konditionierung ein.
2 Welche Begriffe sind grundlegend?
Der Begriff Glauben stellt eine durch Erfahrungen oder fremde Bezeugungen geprägte, unsichere Vorstellung des Individuums über bestimmte Tatsachen oder Zusammenhänge der Wirklichkeit dar. Die Begründungen des „für wahr gehaltenen“ können nur indirekt erfolgen. Im Gegensatz zum Glauben steht das Wissen als die Gesamtheit aller organisierten Informationen eines Individuums, durch die es bewusst und sinnvoll auf Reize der Umwelt reagieren kann. Das Wissen ist nicht durch Argumente zu widerlegen, während Meinungen zwar wahr sein können, jedoch diskutabel sind. Zu den Wissensformen zählen beispielsweise das Faktenwissen, das Wissen über Theorien und Konzepte und deren Eigenschaften oder das Wissen über semantische Beziehungen (räumliche Beziehungen: Behälter und Inhalt; Kausalbeziehungen: Blitz und Donner usw.).
Bei einer Theorie handelt es sich um eine „durch das Denken geschaffene Verknüpfung beobachtbarer Tatsachen zu einem in sich widerspruchslosen Zusammenhang von Gründen und Folgen“ (T RAXEL , 1964, S. 309). Als Kennzeichen idealer wissenschaftlicher Theorien gelten:
die logisch widerspruchsfreie Systematisierung (gesetzmäßige Beziehungen zwischen mehreren Variablen),
der Erklärungswert (Herausstellung der Bedingungen für das Eintreten von Ereignissen und Ableitung von exakten Vorhersagen über die Bedingungen, unter denen das Ereignis eintritt),
die Falsifizierbarkeit (Formulierung empirisch überprüfbarer Hypothesen) und
die Nachprüfbarkeit der postulierten Gesetzmäßigkeiten (T RAUTNER , 1997).
Sportmotorische Lernprozesse charakterisieren neben einem auffälligen Leistungsanstieg einerseits zeitlich konstant verlaufende Lernstadien , die keinen oder zumindest einen unbedeutenden Leistungsfortschritt (Leistungsstagnation) annehmen lassen. Die Ursachen liegen im Übergang von einem niedrigeren auf ein nächsthöheres Fertigkeitsniveau begründet. Bei der Leistungsstagnation kann es sich aber auch um die persönliche Leistungsgrenze des Sportlers handeln ( Deckeneffekt ). Andererseits können sportmotorische Lernprozesse regressive Lernphasen aufweisen, die einen zeitlich befristeten Leistungsrückgang anzeigen. Regressive Lernphasen treten im Spitzensport typischerweise bei der Technikumstellung auf.
Den individuell unterschiedlichen Verlauf lernbedingter motorischer Verhaltensveränderungen veranschaulichen grafische Lernkurven . Den linearen Kurvenverlauf (Abb. 26a) kennzeichnet ein proportionaler Lernzuwachs. Beim positiv beschleunigten Lernverlauf (Abb. 26b) bestehen anfänglich schnelle Lernfortschritte. Der Umfang des Lernzuwachses nimmt jedoch mit der Zunahme der Lerndurchgänge beständig ab. Oder
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