Bewegungswissenschaft
zeitlich-räumliche Feinjustierung der im motorischen Gedächtnis gespeicherten, wenig ausdifferenzierten Bewegungspläne findet in den Basalganglien und im Cerebellum (Kleinhirn) statt. Die Basalganglien übernehmen die Koordinationlangsamer und automatisierter Bewegungen, die Festlegung der muskulären Kraft, der Richtung, der Amplitude und der Geschwindigkeit der motorischen Handlung. Das Cerebellum nimmt Einfluss auf die zeitliche Strukturierung schneller Bewegungen, die Feinkoordination langsamer Fertigkeiten und die Gleichgewichtsregulation. Der primär-motorische Kortex (Homunculus) sendet die ausdifferenzierten motorischen Programme nach ihrer Umwandlung in bioelektrische Aktionspotenziale über absteigende Bahnen unter Einbindung des Hirnstamms und des Rückenmarks an die Skelettmuskeln.
Belege für die Existenz motorischer Programme liefern Deafferentierungsstudien, Untersuchungen zur Informationsverarbeitung, Wahlreaktionszeitexperimente und Invarianzstudien. Über die speziellen Inhalte motorischer Programme bestehen ausgesprochen fassettenreiche Annahmen. Der Bogen spannt sich von biologischen Oszillatoren , die sich nach Aktivierung durch biochemische oder bioelektrische Reize kontinuierlich selbst erregen, über zentralnervöse Impuls-Timing- und Bang-Bang-Mechanismen , die zeitlich-dynamisch strukturierte Informationen als Impulse an die relevante Muskulatur senden, bis hin zu Masse-Feder-Modellen , die über die Veränderung der muskulären Längen-Spannungsrelation zwischen Agonisten und Antagonisten die Gelenkbewegung kontrollieren.
Unter den zahlreichen kontrovers diskutierten Vorstellungen über die Organisation motorischer Programme dominiert das Programmkonzept von S CHMIDT (1975, 1988), das feste zeitlich-dynamische Programminvarianten und leicht veränderbare metrische Programmparameter unterscheidet ( vgl. Lektion 6 ). Im Gegensatz zu den Vorstellungen vergangener Jahre, nach denen langsame Bewegungen allein der Closed-Loop-Regelung ( vgl. Lektion 3 ) und schnelle Bewegungsausführungen ausschließlich der Open-Loop-Steuerung unterstehen ( vgl. Lektion 4 ), favorisiert die moderne Bewegungsforschung hybride Modelle ( vgl. Lektion 6 ).
Zentrale Begriffe
Automatismen, α-γ-Koaktivierung, Bang-Bang-Bewegungssteuerung, Basalganglien, Beugereflex, Bewegungsprogramm, Bewegungssteuerung, Cerebellum, Deafferentierung, Dehnungsreflex, Eigenreflex, Engramm, Fremdreflex, hierarchisch-sequenzielle Bewegungsorganisation, Hirnstamm, Homunculus, Ia-Afferenz, Impuls-Timing-Idee, Kleinhirn, limbisches System, Masse-Feder-Modell, Memory-Drum-Hypothese, Monitoring-Hypothese, monosynaptischer Dehnungsreflex, motorischer Automatismus, motorische Einheit, motorischer Reflex, motorisches Programm, Neokortex, Open-Loop-Kontrolle, Oszillator, polysynaptischer Reflex, primär-motorischer Kortex, Reflexbogen, Steuerung, 1:1-Speicherung.
Zur vertiefenden Weiterarbeit
B IRBAUER , N. & S CHMIDT , R. F. (2006). Biologische Psychologie . (6. Aufl.). Heidelberg: Springer.
S CHMIDT , R. A. (1988). Motor control and learning: A behavioral emphasis (2nd ed.). Champaign: Human Kinetics.
T HEWS , G., M UTSCHLER , E. & V AUPEL , P. (1999). Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen (5. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.
W OLLNY , R. (1993). Stabilität und Variabilität im motorischen Verhalten. Theoretische Grundlagen und elektromyographische Überprüfung der Koordination und des Erlernens komplexer Bewegungsformen im Sport. Aachen: Meyer & Meyer.
Literatur
A SATRYAN , D. G. & F EL ’ DMAN , A. G. (1965). Functional tuning of nervous system with control of movement or maintenance of a steady posture. I. Mechanographic analysis of the work of the joint on execution of a postural task. Biophysics, 10 , 925–935.
B ERNSTEIN , N. A. (1967). The coordination and regulation of movement. London: Pergamon Press.
B IRBAUER , N. & S CHMIDT , R. F. (2006). Biologische Psychologie (6. Aufl.). Heidelberg: Springer.
C RUSE , H. (1981). Biologische Kybernetik. Einführung in die lineare und nicht lineare Systemtheorie . Weinheim: Verlag Chemie.
D AUGS , R. (1972). Bewegungsstruktur und (senso-)motorischer Lernprozeß. In K. K OCH , G. B ERNHARD & D. U NGERER (Hrsg.), Motorisches Lernen – Üben – Trainieren (S. 217–228). Schorndorf: Hofmann.
G RILLNER , S. (1975). Locomotion in vertebrates: Central and reflex interaction. Physiological Review, 55 , 247–304.
G RILLNER , S. (1990). Neurobiology of vertebrate motor
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