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Bewegungswissenschaft

Bewegungswissenschaft

Titel: Bewegungswissenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wollny
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anders formuliert, je mehr sich die motorische Leistung des Sportlers dem Lernziel annähert, desto schwieriger werden äußerlich sichtbare Lernfortschritte erzielt. Dieses Phänomen tritt besonders augenfällig bei Spitzensportlern auf, deren sportmotorische Techniken und Leistungen nahezu maximal ausgebildet sind. Eine weitere Leistungsverbesserung kann der Lernende vielfach nur durch eine deutliche Steigerung des Trainingsumfangs erzielen. Den negativ beschleunigten Kurvenverlauf (Abb. 26c) charakterisiert ein zunächst geringer, im Verlauf des Lernprozesses zunehmender Lernzuwachs. Der s-förmige Lernverlauf (Abb. 26d) zeigt zu verschiedenen Zeitpunkten positive oder negative Lernzuwächse.

    Abb. 26: Idealisierte Verläufe motorischer Lernkurven
a) linearer, b) positiv beschleunigter, c) negativ beschleunigter und
d) s-förmiger Lernverlauf
    Die Grundformen der Aneignung elementarer motorischer Fertigkeiten – die Habituation, die klassische, instrumentelle und operante Konditionierung sowie das Lernen am Modell – lassen sich, wie in Tabelle 4 angeführt, nach dem jeweiligen Anteil der lernrelevanten kognitiven Prozesse hierarchisch ordnen.
    Tab. 4: Systematisierung der Grundformen der Aneignung elementarer motorischer Fertigkeiten (mod. nach K LIX , 1973, S. 354)

    Die bereits in Lektion 1 thematisierte Habituation stellt die unbewusste Gewöhnung der Sinnesorgane an wiederholt einwirkende Reizkonstellationen dar, die für den Menschen keine aktuell nützlichen Informationen beinhalten (nächtlicher Straßenlärm, Rauschen der Meeresbrandung, Ticken des Weckers usw.). Habituelle Adaptationen der sensorischen Systeme dienen der Freisetzung zentralnervöser Verarbeitungskapazitäten und dem Schutz vor Reizüberflutungen. Bei sportlichen Fertigkeiten erfolgt die Gewöhnung vornehmlich bewegungsspezifisch. Weitläufig bekannt sind die vestibulären Anpassungen von Eiskunstläufern an Drehbeschleunigungen um die Körperlängsachse oder die Reduzierung der motorischen Schutzreflexe bei Torwarten und Abwehrspielern in der Sportart Handball.
    Die in Tabelle 4 aufgeführten vier traditionellen Lerntheorien – die klassische, instrumentelle und operante Konditionierung und das Lernen am Modell – lassen sich drei lerntheoretischen Grundpositionen zuordnen. Diese bündeln jeweils spezielle lernpsychologische Aussagen über die Voraussetzungen und die Prozesse der Veränderung kognitiver und motorischer Verhaltensweisen.
Der kontiguitätstheoretische Standpunkt – klassische Konditionierung – beschreibt die Beziehungen zwischen einem Verhalten und den vorausgehenden Bedingungen. Der Mensch lernt, auf einen neutralen Umweltreiz mit einer spezifischen reflektorischen Verhaltensweise zu reagieren. Als Voraussetzung für das Zustandekommen kognitiver und motorischer Lernprozesse gilt die zeitlich-räumliche Nähe zwischen einem bestimmten Reiz und einer speziellen Reaktion.
Die verstärkungstheoretischen Ansätze – instrumentelle und operante Konditionierung – betrachten die Zusammenhänge zwischen dem Verhalten und dessen unmittelbaren Konsequenzen, welche die Wahrscheinlichkeitsquote des Auftretens einer bestimmten Verhaltensweise verändern. Als zentraler Lernfaktor gilt das aktive, suchende Verhalten des Menschen, das sich selbst verstärkt oder durch die Umwelt verstärkt wird.
Die sozialkognitiven Konzepte erklären das Lernen
am Modell (syn. Beobachtungslernen, Imitationslernen). Hiernach
nutzt der Mensch die subjektiven Beobachtungen der
Verhaltensweisen anderer Personen für die Ausgestaltung des
eigenen Handelns.
3 Was besagen die „historischen“ Vorläufer moderner Informationsverarbeitungsansätze?
    Der bekannteste „historische“ Vorläufer der in der Bewegungsforschung ausgesprochen erfolgreichen Informationsverarbeitungsansätze ( vgl. Lektion 6 ) – der Behaviorismus – betrachtet den Menschen als ein passives, umweltabhängiges Lebewesen, das wie eine Marionette auf die Stimuli des Puppenspielers reagiert. Als eine Art informationsverarbeitende „Lernmaschine“ nimmt das Individuum die Reize der Umwelt wahr (Input) und überführt diese durch Kombination, Kodierung oder Vergleich in vorhersagbare Reaktionen (Output; vgl. Abb. 27 ). Unter einem Reiz versteht der Begründer des Behaviorismus, John Broadus W ATSON (1968, S. 39), „jedes Objekt in der allgemeinen Umwelt oder jede Veränderung in den Geweben selbst, die durch den physiologischen Zustand des Lebewesens bedingt ist,

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